„Wir haben da eine übergriffige Führungskraft. Sie vergiftet das Klima. Können Sie sie coachen?“
Wie ich auf diese Frage geantwortet habe, erfahrt ihr, wenn ihr weiterlest.
Vorher eine kleine Einführung in das Thema. Weitere praktische Tipps und Fallbeispiele zum Umgang gebe ich im Podcast.
Übergriffigkeit kann sich auf unterschiedlichste Art und Weise zeigen. Da gibt es sexuelle Übergriffigkeit, aber auch andere Formen von niedriger Impulskontrolle. Da ist jemand, der Angst und Schrecken verbreitet durch seine impulsive Art - durch cholerische Wutanfälle oder das Niedermachen vor anderen.
Nicht immer ist es für alle offensichtlich. Manchmal ist da auch eine diffuse Angst, die jemand in seiner Rolle auslöst. Diese Art haben besonders narzisstisch geprägte Persönlichkeiten drauf, die ihre Wesenszüge ausbreiten, wenn sie nicht durch das System kontrolliert werden.
Manche inszenieren sich auch als Opfer und missbrauchen gesellschaftliche Tabus für den eigenen Zweck. Ein Beispiel dafür fand ich diese Woche in der Lanz-Sendung vom 4.7. mit Deborah Feldmann. Sie vermengte ihr Schwarz-Weiß-Gut-Böse-Denken mit jeder Menge negativer Übertragungskraft. Es zeigt auch, was passiert, wenn ein Moderator - hier die Führungskraft - das zulässt. Lanz hat die Führung verloren, weil er dem Muster aufsaß.
Was lähmt und unterdrückt
Es muss aber nicht immer so offensichtlich sein. Es kann sich auch um eine diffuse Lähmung handeln. Dann erscheinen die systemvertretenden Personen kontrolliert, strahlen Botschaften nonverbal aus. Etwa: „Bei uns darf man das nicht sagen.“ Manchmal reicht schon ihr Auftritt, der nonverbal andere Dinge ausdrückt als in Worten. Rang und Rolle spielen eine große Rolle - sie können persönliche Eigenschaften verschlingen.
So oder so: Die Entwicklung toxischer Systeme ist immer begleitet von unreflektierten Projektionen und Übertragungen. Was beides unterscheidet, habe ich in Nr. 82 ausführlich eingegrenzt.
Macht oder Gewalt, das ist keine Frage
Stets geht es um Machtmissbrauch. Und hier hilft die Unterscheidung von Hannah Arendt: Aus positiver Gestaltungsmacht wird autoritäre Gewalt – auch versteckt hinter pseudokooperativem Verhalten.
Dennoch: Eine Frau Feldmann allein könnte ihre zerstörerische Kraft nicht entfalten. Es braucht soziale Systeme, die dieser Kraft keinen Einhalt gebieten. Allzuoft schreiben wir die Toxizität einer einzigen Person zu. Wir denken in Ursache und Wirkung. Und meinen, dass der Austausch eines Menschen reiche. Es ist jedoch immer nur der Austausch eines Menschen in einer Rolle, die dieser einnehmen konnte, weil der Kontext es zuließ.
Das Symptom wird geopfert - für den Systemerhalt
Gerne wird, etwa in der Politik oder der Verwaltung eine Person stellvertretend für ein Symptom von Dysfunktionalität im System „geopfert“. Die Funktion ist es, das System zu erhalten – bloß keine Einschnitte. Das berühmte Bauernopfer. Ändern wird sich durch die Versetzung, etwa in den vorzeitigen Ruhestand, vermutlich nichts. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich wieder eine ähnliche Krankheit ausbildet ist groß.
Denn in Wahrheit ist es nicht diese Person. Es sind die sie umgebenden sozialen Systeme, die vergiftet sind. Sie lassen Machtmissbrauch zu, weil es sie aufrecht erhält, so wie sie sind. Ohne schmerzende Veränderung.
„Wir müssen ihn machen lassen, er kennt wichtige Leute.“
„Sie ist einfach zu gut, wir können nicht auf sie verzichten“
„Ohne ihn verlieren wir den wichtigsten Kunden.“
Besonders gefährdet von Toxizität sind Systeme, die unter Stress stehen. Sparmaßnahmen, Haushaltsdebatte, Transformationsdruck, Entlassungen. Aber auch das Gegenteil: Die scheinbare Unmöglichkeit derselben.
Die Gefahr von Toxizität ist auch da besonders groß, wo Systeme ein extremes Eigenleben entwickeln konnten. Vetternwirtschaft, Begünstigungen oder ein starker systemischer Anpassungsdruck tragen dazu bei.
Ein Beispiel sind Rundfunkanstalten und Verlage. Vermeintlich „freie“ Mitarbeiter sind ihnen geradezu ausgeliefert. In der Hackordnung stehen sie unter den begünstigten festangestellten Redakteuren, die sich unkündbar wähnen. Man muckt nicht auf, will den geliebten Job nicht verlieren. Denn es geht auch und nicht zuletzt um die Aufrechterhaltung des eigenen psychischen Systems.
All das begünstigt ein Angstklima. Ein einzigartiges und online verfügbares Zeugnis der Wirkungen ist der NDR-Klimabericht aus dem Jahr 2023, den ich euch verlinkt habe. 100 Seiten machen öffentlich, was ich so auch aus anderen Organisationen kenne, über die ich aber nicht sprechen darf. Es betrifft vor allem jene Systeme, die nie gelernt haben, sich immer wieder neu zu erfinden – wie manche Unternehmen. Doch auch dort gibt es diese Zonen der Angst.
Es fehlt an obligatorischen Programmen zum Kompetenzaufbau. Reflexionsprozesse, individuelles und organisationales Lernen sind teilweise unterentwickelt. NDR Klimabericht
Ich würde weitergehen – in einigen Organisationen ist das nicht nur teilweise so. Reflexion wird vor allem da unterbunden, wo sie dringend gebraucht wird. Hier greift man mit besonderem Vergnügen zu schnellen einfachen Lösungen und sucht besonders verzweifelt nach Rezepten.
Die Wahrheit ist, dass sich toxische Eigenschaften da breit machen, wo keiner über sie redet. Wo niemand, das System und die Strukturen hinterfragt. Und genau hier liegt dann auch die Lösung. Auf Vorträgen sage ich oft: Nicht die Kultur ist das Problem. Es sind fehlende Strukturen. Denn diese schaffen und erhalten Kultur. Und verändern sie.
Ihr wollt wissen, was ich geantwortet habe?
Es macht keinen Sinn, eine solche Person zu coachen. Das Führungssystem braucht ein Coaching - und erstmal Beratung. Durch welche fehlenden Strukturen und Entscheidungen konnte eine einzelne Person so über die Stränge schlagen? Und was kann es künftig verhindern?
Ich möchte mich nicht an der Aufrechterhaltung kranker Systeme beteiligen.
Im Podcast bekommst du zusätzliche Fallbeispiele, Fragen, Hinweise und Tipps zum praktischen Umgang mit toxischen Systemen.
Vertiefung
Klimabericht des NDR hier
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