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Weiterdenken by Svenja Hofert Podcast
Die kranke Wirtschaft heilen
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Die kranke Wirtschaft heilen

No. 95 Strukturelle Pathologien und Krankheiten des Managements

Wir stecken in einer beispiellosen Krise. Und nicht nur die Mitarbeitenden und Führungskräfte sind zunehmend und buchstäblich „krank“; auch die Organisationen leiden an multiplen Krankheiten und Störungsbildern. Die “Medizin” der letzten Jahre jedoch war oft ein Doktern an Symptomen. Ignoriert wurde, was wir über Organisationen wissen (könnten).

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Flächendeckend ist das Wissen noch nicht da, was gesunde Organisationen ausmacht. Obwohl die Wissenschaft seit Mitte des letzten Jahrhunderts da schon sehr sehr viel angereicht hat, aber es wurde noch nicht flächendeckend übertragen in Organisationen hinein. Und dann machen wir häufig immer noch das, was früher gemacht wurde: gemeinsam Lieder singen. Dann wird das eine Millionste Retroformat erfunden….” Conny Dethloff

Also nicht ums Feuer tanzen, keine Lieder singen, sondern erst einmal verstehen, was ein funktionierendes Unternehmen ausmacht. Abgebildet ist das im Viable Systems Model, über das ich beim letzten Mal mit Conny gesprochen habe. Dieses liefert keine Schablone, sondern ein lebendiges Metadenkmodell. Wer den vorherigen Podcast noch nicht gehört hat:

Zum Verständnis der heutigen Folge ist er aber nicht unbedingt nötig. Heute geht es nämlich um das, was nicht funktioniert. Ergo um das, was zeigt, dass das vielleicht einst lebendige Unternehmen krank geworden ist: Um Pathologien.

Damit ihr das im Vor- und Nachinein besser nachvollziehen und vertiefen könnt, nun noch einige zusätzliche Erklärungen und Hintergründe.

Können Unternehmen krank sein?

Die Idee der Pathologien auf Organisationen zu beziehen, geht auf die Kybernetik zurück. Die genannten Pathologien beschreibt u.a. José Pérez Ríos (siehe Weiterlesen).

Wir müssen zum Verständnis dem Grundgedanken folgen, dass Organisationen nicht die Summe der Menschen sind, die in ihnen arbeiten, sondern ein eigenes komplexes System bilden. Dieses hat erst mal nichts mit den Menschen zu tun, die in ihnen arbeiten. Das ist wichtig, damit wir von der Individual- und Einzel-Betrachtung wegkommen.

Das heißt nicht, dass Personen keine Rolle bei der Heilung spielen. Es sind aber Personen in ihrer Rolle; Personen, die Macht haben. Im Podcast fiel mir der Ort und Name der Brücke nicht ein, deren Wiederaufbau ich gerne als Beispiel für die positiven Folgen zeitlich begrenzter Macht zitiere: Die Brücke von Genua, auch Polcevera Viadukt genannt. Sie stürzte 2018 ein und wurde bis 2020 unter Bürgermeister Marco Bucci innerhalb kurzer Zeit wieder aufgebaut. Er war in dieser Zeit als “Brückenkommissar” mit maximaler Macht ausgestattet (siehe Weiterlesen).

Es ist also nicht egal, wer die Rolle besetzt. Denkt etwa auch Christian Klein bei SAP. Der Mann spielt eine Rolle, weil er Macht hat. Er wird die Geschicke entscheidend prägen. Inhaltlich tut er vermutlich die richtigen Dinge, denn das Unternehmen ist zwar jetzt gut aufgestellt, nicht aber für die Zukunft. Was er tut ist jedoch in der Kultur nicht anschlussfähig. Was wieder zeigt: Kultur ist Vergangenheit und man darf sie nicht ignorieren - aber das ist ein anderes Thema.

Erstmal soviel: Organisationen bilden Machtzentren. In diesen wird geheilt – aber auch kaputtgemacht.

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Die Pathologien im Überblick und mit Beispielen

Strukturelle Pathologien

Diese betreffen, wenn man so will, das Skelett der Organisation.

1. Keine fraktale Skalierung

  • Dafür müssen wir das „Fraktal“ verstehen. Es bedeutet etwas ist sich selbst ähnlich. In Organisationen brauchen wir ähnliche Grundstrukturen. Beispiel für fehlendes Skalierung: Ein Unternehmen hat eine zu breite oder zu schmale Produktpalette, wodurch operative Einheiten übermäßig viele oder wenige Produkte abdecken müssen. Dies führt zu einer Überlastung oder unzureichenden Auslastung der Ressourcen.

2. Fehlende Skalierungsebenen

  • Beispiel: Eine Firma hat nur zwei Hierarchieebenen – die Geschäftsführung und die operativen Mitarbeiter. Diese einfache Struktur kann dazu führen, dass die Kommunikation und Umsetzung der Strategie nicht in die Breite getragen kann. Ob Mittelmanagement hier jetzt die Lösung ist, ist eine andere Frage – es ist aber eine typische, wenn auch nicht notwendige Antwort.

Funktionale Pathologien

Diese betreffen, wenn man so will, die Organe.

1. Unklare Identität

  • Beispiel: Ein Unternehmen hat keine klare Vorstellung davon, ob es sich auf technologischen Fortschritt oder auf Dienstleistungen konzentrieren soll, was zu widersprüchlichen Geschäftspraktiken führt. Eine Verwaltung weiß nicht, ob es sich am Bürger oder an den Prozessen ausrichtet.

2. Organisationale Schizophrenie / gespaltene Persönlichkeit

Bitte beachten: Den Begriff mit Ironie und in seiner küchenspsychologischen Laienbedeutung nehmen. Im Podcast erklären wir Schizophrenie nicht ganz richtig, es ist da eher die multiple Persönlichkeit. Da ich in meinem Umfeld viel mit dem Thema zu tun habe, ist mir wichtig das richtigzustellen.

  • Beispiel: Das Management propagiert flache Hierarchien und Teamarbeit, während die tatsächliche Struktur stark hierarchisch ist und Einzelentscheidungen bevorzugt.

3. Gestörte Identität

  • Beispiel: Ein Unternehmen, das ursprünglich als Maschinenbauunternehmen bekannt war, versucht sich im Bereich der Softwareentwicklung, ohne eine klare Neupositionierung am Markt zu kommunizieren.

4. Ausgeblendete Zukunft

  • Beispiel: Ein Unternehmen vernachlässigt die Entwicklung neuer Technologien oder Märkte, was seine langfristige Wettbewerbsfähigkeit gefährdet. Im Podcast nehme ich als Beispiel den SUP-Stand mit persönlicher Bedienung im Vergleich zur automatisierten Ausleihe.

5. Gestörter Abgleich zwischen Zukunft und Vergangenheit

  • Beispiel: Eine Organisation hält an veralteten Technologien und Praktiken fest, obwohl der Markt sich in eine andere Richtung entwickelt hat, was zu einer Diskrepanz zwischen ihrer Vergangenheit und ihren zukünftigen Bedürfnissen führt. So wird immer noch mit klassischen Projektmanagementmethoden gearbeitet, obwohl agile überlegen wären.

6. Autoritärer Managementstil

  • Beispiel: Die Führung eines Unternehmens trifft alle wichtigen Entscheidungen allein, ohne Input von Mitarbeitern oder Stakeholdern, was zu Frustration und mangelnder Innovation führt. Ja, Herr Klein, SAP, das passt hier wohl.

7. Gespaltenes Management

Dies beobachte ich oft in Konzernen, wo sehr viele Schulungen an der Kommunikation „gearbeitet“ haben, die Führungskräfte aber im Handeln ganz andere Botschaften senden. Das heißt der gesamte kulturelle Code ist zweideutig.

  • Beispiel: Eine Geschäftsleitung, die einerseits Eigenverantwortung und Initiative fördert, gleichzeitig aber mikromanagiert und alle Prozesse detailliert überwacht.

8. Schwaches Management

·       Im Podcast sagen wir, dass es hier natürlich Überschneidungen gibt: Ein gespaltenes Management ist immer auch schwach. Aber Schwäche kann auch z.B. durch „laissez faire“ entstehen. Eine Führung, die keine klaren Richtlinien oder Ziele vorgibt, wodurch es den Mitarbeitern an Orientierung und Motivation fehlt.

9. Auditierung im Business Theater

  • Führungskräfte verbringen mehr Zeit damit, interne Audits und Kontrollen zu inszenieren, als tatsächlich operative Probleme zu lösen.

10. Anarchie

  • Fehlen klarer Strukturen und Regeln, sodass Mitarbeiter ihre eigenen Wege gehen, was zu Chaos und Ineffizienz führt.

11. Autoritäre Bürokratie

  • Ein Unternehmen, das durch starre Vorschriften und eine Vielzahl an Genehmigungsprozessen gelähmt ist, wodurch Entscheidungen und Innovationen stark verlangsamt werden.

12. Autopietisches Biest

  • Eine Organisation oder organisationale, die sich auf Selbstschutz und -erhaltung konzentriert. Im Podcast genannte Beispiele: Akademien in der Organisation, aber auch agile Einheiten.

13. Organisierte Verantwortungslosigkeit

  • Zuständigkeiten sind so verteilt, dass niemand für Fehlentscheidungen oder Misserfolge verantwortlich gemacht werden kann. Das hat sehr viel auch mit verleugneter Macht zu tun.

Kanalbezogene Pathologien

Diese beziehen sich sozusagen auf das zentrale Nervensystem der Organisation.

1. Nicht leistungsfähige Kanäle und Systeme

  • Ein Unternehmen nutzt veraltete IT-Systeme und Kommunikationskanäle, die den modernen Anforderungen nicht gerecht werden, was zu ineffizienten Prozessen führt. Stichwort: Fax oder Papierablage. Aber auch: Whatsapp-Angebot, ohne damit umgehen zu können.

2. Fehlender algedonischer Kanal

  • Ein Unternehmen hat keine Mechanismen, um effektiv auf negative Rückmeldungen (Schmerz) oder positive Möglichkeiten (Vergnügen) zu reagieren, was zu einer unzureichenden Anpassung an Marktanforderungen führt. Man merkt also nicht, wenn etwas schiefläuft genausowenig wie man Erfolge mitbekommt. Erlebe ich z.B. da, wo Mitarbeitern die schlechten Marktzahlen vorenthalten und stattdessen Ponyhof vorgeturnt wird. Möglicherweise ist hier SAP ein Beispiel, deren aktuelle Zahlen besser aussehen als die Zukunft.

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Weiterlesen

  1. Paper zu den Pathologien bei Leanbase

  2. Die Brücke von Genua und ihr schneller Aufbau: Marco Bucci im Interview

  3. Erfinder des Begriffes „Autopoietisches Biest“: Dieser Begriff kommt von Werner Schuhmann, den er in seinem Aufsatz „Communication and information in society“ aus „To be and not to be that is the system: a tribute to Stafford Beer“ von R. Espejo und M. Schwaninger hergeleitet hat.

  4. Videoreihe „Chance – Restrukturierung“ von Connys Firma Emergize hier

  5. Eines der Grundlangen-Bücher „Design and Diagnosis for Sustainable Organizations – The Viable System Model “ von José Pérez Ríos, findet ihr im Buchhandel

  6. Das Buch „Die dritte Dimension des Organisierens – Steuerung und Kommunikation“ von Dr. Martin Pfiffner ebenso.

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Achtung: Wer mir bei X gefolgt ist: Mein Account mit 8.000 Followern wurde in die Türkei verschleppt, kein Scherz ;-) Habe mich entschieden, nur Anzeige zu erstatten, aber den Account nicht zurückzuklagen. Ich hatte keine Zweifaktor-Authentifizierung. Ihr könnt mir neu hier folgen.

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