Wie die Banane meinen Blick auf Change- und Organisationsmodelle änderte
No. 51: Über die wahre Veränderungskraft und die Dummheit von Modellen
No. 51: Über die wahre Veränderungskraft und die Dummheit von Modellen
„Vom Obstteller zur Organisationsentwicklung: Bananen inspirieren neue Change-Modelle!“ Haltet ihr mich jetzt verrückt? Nein, meine heutige Headline stammt von ChatGPT. Ich habe sie mir erpromptet. Und ich fürchte, die KI meint die Sache bitterernst und ironisch zugleich. Und das zeigt etwas: Manches ist Jacke wie Hose.
Manches ist Jacke wie Hose.
Die Banane steht für mich genau dafür: Für alles, was keinen Unterschied macht. Sie ist ein beliebiger Blickfang, mit dem wir uns die Welt zurechtbiegen – und zwar so, dass aus ihr das wird, was man gerade in dieser Situation auf dem Weg der Erkenntnissuche zur Veränderung braucht. Meistens um genau diese am Ende zu verhindern.
Teamuhr, Changekurve und Spotify sind Bananen
Der veränderungsbegeisterte Teil dieser Welt findet Bananen in einfachen Modellen wie der Teamuhr oder auch der Changekurve nach Kübler Ross. Jeder kennt sie, jeder nutzt sie. Mit Blick auf die Organisation finden sich Bananen etwa in Form des Spotify-Modell.
Kaum eine Weiterbildung ohne die zwei ersten Modelle. Aber: Es sind Bananen. Sie verführen zu einfachen Bildern über das, was da betrachtet wird. Hinter der Teamuhr steckt etwa ein wissenschaftlich nie belegtes Modell aus den 1950er Jahren. Die „Changekurve“ entpuppt sich als 5-Phasenmodell der Trauerverarbeitung von Elisabeth Kübler Ross. Bei Spotify ist es etwas anders;: Den Kelch der Heiligen hat McKinsey und nicht der herkömmliche Organisationsberater, Coach oder Teamentwickler.
Zu ersterem verlinke ich im Kasten Weiterführendes.
Modelle ersetzen fehlende Theorie und Intuition
Modelle verbreiten sich auf der Individual- und Teamebene allein dadurch, dass sie da sind und die fehlende Theorie ersetzen. Sie liefern einfach nur Lösungsversprechen: Wer hat die Zauber-Banane? Der eine kopiert den anderen. Und so kommt es, dass sie sich immer weiter verbreiten. Doch die Wahrheit ist: Die Erkenntnis entsteht allein dadurch, dass sie gewünscht ist. Man könnte also genauso ein Orakel befragen oder den Druiden um die Ecke.
Manche Modelle könnten auch ein Orakel sein
Als ich neulich in Taiwan war, ist mir das so richtig bewusst geworden. Im Taoismus wirft man Steine vor eine Gottheit, die im Tempel steht und vorher ausreichend Opfergaben erhalten hat. Diese beantwortet dann die jeweilige Frage, je nachdem wie die geworfenen Steine zueinander liegen.
“Orakel wurden in verschiedenen Kulturen und Zeitaltern auf der ganzen Welt praktiziert und galten als eine Möglichkeit, göttliche Führung, Erkenntnisse oder Antworten auf wichtige Fragen zu erhalten.” (ChatGPT)
Und da wurde mir der Zusammenhang klar. Eine Orakelfunktion hat auch der „MBTI“, der einen in 16 Typen einteilt, aber völlig willkürlich etwa einen Extravertierten vom Introvertierten unterscheidet. Ich war schon alles im MBTI, streue über mindestens acht Typen - jedes Mal war ich etwas anderes (dazu habe ich auch ein tolles Video von Quarks im Kasten verlinkt).
Tests wie MBTI liefern Trenddiagnosen
Dabei liegen Zweidrittel von uns „dazwischen“. So kommt es, dass auch spürbare Extravertierte mit der „Trenddiagnose“ Introvertiert durch die Gegend laufen und fest daran glauben (wollen), was mich immer wieder ins Staunen bringt.
Mal im Ernst: Ich bin tolerant, ich akzeptiere jedwede Praxis und poche durchaus nicht nur auf wissenschaftliche Ansätze. Doch manchmal frage ich mich: Mit welchen Brillen schauen wir da bloß auf die Herausforderungen der Veränderung? Und was vermitteln wir? Und mehr noch: Wie? Ich habe ja selbst ein paar Agile-Zertifizierungen hinter mir. Die Kompaktinhalte zu Mensch und Team etwa im Agile-Leadership-Kurs haben mir Angst gemacht. Sie waren wirklich sehr oberflächlich vermittelt, oft aus Internetwissen zusammengetragen.
Bitte mehr Respekt vor den Herausforderungen
Hilft uns sowas dabei, relevante Aspekte zu sehen? Oder machen sie uns in Wahrheit nur blind für die darunter liegenden Phänomene?
Ich beobachte, dass phänomenlogisches Beobachten für die Menschen immer anstrengender wird, je mehr sie mit bestimmten Modellen im Kopf rumlaufen. Dabei bräuchte man vor allem die Fähigkeit, sich einzufühlen in Raum und Menschen. Das verlangt, den Blick zu lösen von der ewigen Banane, die wir in allem sehen. Und es verlangt eine besondere Entwicklung von den Beobachtenden.
Die Modelle prägen eine zu einfache Weltsicht
Modelle können helfen, aber sie können auch vom Wesentlichen ablenken, allem voran vom Blick auf das, was um uns geschieht. Das Dilemma: Die Modelle sind in den Köpfen, man kriegt sie nicht mehr weg. Falsch eingeführt können sie dazu beitragen, dass sich Stereotypen bilden und geradezu einfräsen.
Da wünsche ich mir mehr Demut. Einschließlich der Bereitschaft sich kritisch mit den eigenen Prägungen durch Modelle auseinanderzusetzen.
Gerade komme ich von vier Tagen meiner Summer School „New Organizing“ in Kattendorf zurück. Mit meinen beiden Co´s Tatjana Morgenthal und Nadine Karnetzke habe ich mit 10 erfahrenen Organisationsentwicklern und Führungskräften gearbeitet. Im Mittelpunkt standen nicht Modelle, sondern 10 komplexe Praxisfälle, die völlig unterschiedlich und doch so ähnlich waren. Wir haben sie mit all der gebündelten Erfahrung und Klaus Eidenschinks „Metatheorie der Veränderung“ angeschaut. Das ging, weil es Fortgeschrittene waren, die schon viel Erfahrung mitbrachten. Es hat den Blick geöffnet und nicht verengt. Vor allem aber: Mit dem Wunsch, anderen in ihrer Rolle weiter zu bringen, entfalten sich auch hilfreiche Gedanken besser. Ohne das nächste neue tolle Modell, das diese in Kästchen schiebt.
Die kollektive Erfahrung hat den Unterschied gemacht, nicht das Modell. Wir konnten diese mehren und am Ende waren manchmal mehr Fragen da als Antworten. Aber die helfen dann wirklich im Alltag weiter. Wenn einer aus der Gruppe das liest: Ich danke euch, dass ihr dabei wart. Es war genau das, was ich immer schaffen wollte: Räume, in denen Menschen sich gemeinsam entwickeln. Ganz frei vom Modell, intuitiv.
Mit Impulsen, nicht Wahrheiten. Und neuen Gedanken. Im kleinen Kreis dazu beitragen, dass Menschen wirken können. Und dabei den eigenen begrenzten Radius als das erkennen, was er ist: Die Freiheit zu wählen, im Hier und Jetzt.
Kolumne als Podcast
Foto: Saimen. / photocase.de
Weiter: Lesen, Sehen & Hören
Den Podcast mit Klemens Skibicki musste ich aufgrund von Zeitmangel verschieben, kommt aber nocht.
Den Artikel zu Modellen wie Teamuhr bei Teamworks könnt ihr hier lesen.
Lesetipp ersetzt den Buchtipp: Kooperation und Ausstieg in komplexen Systemen. Gitta Peyn schreibt u.a. über spieltheoretische Ansätze und Nash-Gleichgewicht. Hat mir als Freundin von Spieltheoretischem Denken gut gefallen. Hier
Video-Tipp: “Der einzig wahre Persönlichkeitstest, den keiner kennt”. Nun, meine Leser kennen ihn, die Big Five. Dennoch sehenswert, denn Quarks liefert eine sehr gute und schlüssige Argumentation. hier
Interview mit mir bei Sohrab Salimi über das postagile Zeitalter (Zoom-Interview).
In eigener Sache
Mein neues Buch beschäftigt sich auch mit Modellen. Dabei habe ich jene 100 ausgewählt, die die Beobachtungsgabe schärfen und nicht den Blick trüben. “Mach dich frei. 100 mentale Modelle” ist jetzt vorbestellbar.
Video: Diese Woche spreche ich über den Unterschied von Memen und Werten. Meme sind Gedankeneinheiten, die sich vervielfältigen, nicht aber zu wirksamen Veränderungshandeln führen. Auch das hat einen Bezug zu Modellen, hier beziehe ich mich auf Spiral Dynamics.
Offene Termine
Psychologie der Veränderung: Mein Präsenzkurs startet wieder am 11.9.2023 in Hamburg. Für alle, die psychologische und psychodynamische Zusammenhänge besser verstehen wollen. Infos.
Wie organisieren wir uns zeitgemäß und postagil? Die Summer School New Organizing war ein voller Erfolg. Wir wiederholen nächstes Jahr ohne den Begriff Summer School (der offenbar teilweise schwierig zu vermitteln wa). Hier findet ihr Infos und demnächst einen neuen Termin zu New Organisationsentwicklung.
Wir planen weiterhin einen 4-Tages-Kurs “Nextlevel praktische Ich-Entwicklung” inklusive IE-Profil. Interessenten schreiben mir gern eine Mail mit dem Stichwort Ich-Entwicklug. Teilnehmen können alle, die bereits ein Profil haben oder dies mit uns machen wollen.
Mindshift Masterclass
Mein Online-Kurs Mindshift ist jetzt bei Elopage Online. Er besteht aus 4, auch einzeln buchbaren Modulen mit Audio und Videos und einer Klasse mit 2 Livesessions und Forum. Die Module sind einzeln jederzeit buchbar. Die Gesamtausbildung mit Live-Klasse startet am 16.10.23. Infos findet ihr hier. Interessenten, die mich bis 15.8.23 anschreiben, erhalten einen 20%-Gutschein auf einzelne Module oder den gesamten Kurs.
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SvenjaHofert Mindshift auf Youtube (alle 14 Tage Videos zur Psychologie der Veränderung)
Liebe Svenja Hoffert,
die Polarität in Ihrem Artikel zwischen dem Denken „in Modellen“ und „ohne Modelle“ regt mich zum teilweisen Widerspruch an.
Aus konstruktivistischer Sicht bin ich der Überzeugung, dass wir nicht ohne Modelle denken können. Ein Modell ist der Versuch, der vereinfachten Darstellung des Originals. Wir brauchen diese Vereinfachungen, um Komplexität zu reduzieren. Allerdings dürfen wir das Modell ( = Landkarte) nicht mit der Wirklichkeit ( = Original) verwechseln.
Hier teile ich Ihre Kritik. Ich glaube, dass gerade im Beratungsbereich viele Modelle selbst für die Wirklichkeit gehalten werden. Das ist naiv und mitunter gefährlich.
Was wir also brauchen, ist die Fähigkeit uns dabei zu beobachten, wie wir die Wirklichkeit beoachten. Also: Kennen wir die Brillen, mit denen wir beobachte? Wir sollten uns bewusst sein, welchen Modelle wir gerade benutzen und bereit, diese immer wieder einer kritischen Prüfung zu unterziehen. Denn jedes Modell basiert auf einem eigenen Theoriekonzept. Es ist uns häufig nur nicht bewusst.
Sie schreiben: "Dabei bräuchte man vor allem die Fähigkeit, sich einzufühlen in Raum und Menschen." Das teile ich uneingeschränkt. Aber auch das geschah, aufgrund verschiedener Modelle, die Sie über "Einfühlen, Räume und Menschen" miteinander geteilt haben - bewusst oder unbewusst.
Haben Sie in Ihrer Summer School wirklich „ohne“ Modelle beobachtet? Oder haben Sie sich möglicherweise von den bisher typischen Modellen emanzipiert und sich neuer, eigener Modelle bedient, deren Landkarte differenzierter war und ihnen geholfen hat, die Wirklichkeit mehr und besser zu erkennen.
Ich teile Ihre kritische Sicht zum unreflektierten Gebrauch von Modellen. Ich glaube allerdings, es geht nicht ohne Modelle. Wir brauchen einen professionellen und erkenntnistheoretisch bewussteren Umgang mit Modellen. Ich würde es als die Fähigkeit zum "Beobachten unserer Beobachtung" beschreiben.
Viele Grüße
Dietmar Nowottka