Eine Cousine hat sich ihren Traum erfüllt. Ich sah ihre tollen Fotos aus Cornwall auf Whatsapp. Und danach begegnete mir das Thema Bucket List gleich nochmal. Im Podcast von Christina Grubendorfer.
Hier berichtete die 25jährige Anastasia Barner davon, dass sie schon mit 22 Jahren alles auf ihrer Bucket List erledigt hatte, unter andere einen berühmten Star daten.
Ich muss mich outen: Ich habe noch nie eine Bucket List erstellt.
Und so frage ich mich gerade: Was würde eigentlich auf meiner Bucket List gestanden haben, wenn ich früher damit angefangen hätte? Wieso bin ich nicht darauf gekommen, wo ich doch ein paar tausend Leute im Coaching darin begleitet habe, zu sich oder zu mehr innerer Klarheit zu finden? Vielleicht ist das schade. Aber wo anders hätte ich stehen wollen als jetzt? Wenn ich ehrlich bin: Lieber hätte ich das ein oder andere nicht gemacht. Gibt es auch eine negative Bucket List?
Ich fürchte, so völlig ungecoacht wie ich durch meine ersten Berufsjahre ging, dass auf meiner Bucket List auch eher langweilige Dinge gestanden hätten. Nein, einen Star daten, das wäre wirklich uninteressant gewesen. „Mal in einem Konzern arbeiten“ – sowas eher. Und ja, das Vergnügen hatte ich zwei Jahre. Und es hat mir fürs Leben gereicht. Mein Denkradius war einfach noch nicht genug gedehnt. Um ihn zu weiten, braucht man Erfahrungen, gerade auch schlechte.
Potenzielle Dehnungsstreifen
Einen mehr oder weniger eng gesetzten Denkradius erlebe ich auch bei anderen. Ich meine damit, dass wir uns nur bestimmte Dinge vorstellen können und andere nicht. Es kommt uns erstens nicht alles attraktiv vor, nur weil es andere machen. Und zweitens auch nicht realistisch für uns.
Aber was ist denn nun realistisch? Genau an diesem zweiten Punkt liegen die potenziellen Dehnungsstreifen. Aber auch: mögliche Überdehnung. Ebenso wie Unterbeanspruchung. Die Lösung ist immer: Etwas tun. Sich auch etwas gut-tun.
Auf den allermeisten Bucket Lists stehen Reisen. Meine Videoproduzentin macht gerade eine Weltreise – typisch. Auch sportliche Dinge stehen oft auf solchen Listen. Mein Sprung den Berg runter mit einer Tirolina hat mich verändert. Deshalb geht es nie nur ums Abarbeiten.
Doch „Buckets“ sind auch ein Persönlichkeitsspiegel ihrer Ersteller. Sie können unrealistische Erwartungen an sich selbst spiegeln, zu niedrige oder zu hohe. Zu hohe entstehen oft dann, wenn Menschen sich selbst wenig spüren und deshalb anderen nacheifern.
Menschen wie Anastasia Barner sind einerseits Role Model - andrerseits machen sie uns ein schlechtes Gewissen, weil sie eben so viel erledigt hat. Role Models führen uns vor, was alles geht – aber was da geht, geht für sie (allein).
Und leider, das ist ganz klar eine Schattenseite, führt das zu einer teils ungesunden Dehnung, eben jener Überdehnung. Denn was Influencer gern verschweigen, weil sie es vermutlich auch selbst gar nicht sehen ist: Ihr Erfolg ist Produkt von Bestimmtheiten, Zeitgeist, situativen Zufällen und eigenen Möglichkeiten:
Bestimmtheit: Wir sind eben geprägt von der Vergangenheit – und inwieweit wir diese nutzen oder abwerfen können und wollen. Und das mit der Psyche ist nicht so einfach, wie sich das jene vorstellen, die so einfach 1,2,3 realisieren.
Zeitgeist: Was und wer gerade so ankommt, bestimmt im Wesentlichen der Stand der Technologie.
Situative Zufälle: Gelegenheiten entstehen auch durch Bestimmtheiten. Ja, jeder kann Zufälle mehren. Will ich einen Star kennenlernen, geh ich halt auf und hinter die Bühne oder an entsprechende Orte….
Meinen Möglichkeiten: Es ist halt nicht jeder so, wie er gern sein würde.
Dass Bucket Lists so im Trend liegen, hat einen guten Grund: Sie sind softe Commitments. Softe Commitments gebe ich mir selbst als idealerweise liebevolles Versprechen. Es sollte auch aus mir kommen, das erhöht die Umsetzungswahrscheinlichkeit immens.
Wenn ich etwas aufschreibe, steht das da. Und das ist mehr als ein loses Versprechen. Da es sich um in mir positiv aufgeladene Dinge handelt, ist auch der Vorfreudefaktor inkludiert. Hinzu kommt, dass das Bewusstmachen den Fokus darauf richtet.
Studien attestieren Bucket List durchweg eine positive Wirkung, etwa auf das Glücksempfinden, besonders auch in der Medizin. Bucket Lists sind unglaublich wichtig für Menschen, die wissen, dass ihre Zeit abgelaufen ist. Diese Wirkung ist nachweisbar. Und hier liegt für mich ein Unterschied zu mancher Hype-Bucket-List. Was auf so einer Liste steht, kommt von innen. Nicht von irgendeinem Role Model, das vorlebt, wie man eigentlich gar nicht sein kann.
Vom Nutzen der Lernspeisezettel
Auch Learning Bucket Lists sind nachgewiesen hilfreich. Es sind Listen mit den Themen, die ich als nächstes Lernen will. In der Coronazeit hatte ich mir vorgenommen, über „Alle meine Entchen“ auf dem Klavier hinauszukommen. Es blieb dann beim Spanischkurs. Vielleicht hätte ich es mir aufschreiben sollen? Ja, die Lernspeisezettel sollten klein sein. Und überschaubar.
Present Bias und andere Hürden
Wie bei allem, das uns aus der Komfortzone kitzelt, gilt es auch hier diverse Psycho- und Neuro-Hürden zu überwinden. Eine davon ist der „present bias“. Das ist die Tendenz, sofortige Belohnung zu bevorzugen, anstatt auf etwas hinzuarbeiten. Wir sind immer direkt in der Zukunft. Die aber ist weit weg. Und weil das so ist, schieben wir sie gedanklich immer weiter heraus. Außerdem sind da die mit dem Anschub verbundenen negativen Affekte. Dazu empfehle ich meinen Ziel-Artikel, wenn ihr den noch nicht kennt:
Was tun? Ein sogenannter „Commitment device“ kann hilfreich sein, so Katy Milkman, Verhaltensforscherin und Autorin des leider nur auf englisch verfügbaren „How to Change: The Science of Getting from Where You Are to Where You Want to Be“.
Ich weiß nicht genau, wie man das Wort übersetzen soll. Gemeint ist eine Art Hard- oder auch Software, die bei der Umsetzung unterstützt. Das kann das Handygefängnis sein, damit man endlich die Lernzeit ohne Daddeln nutzt, eine selbstgebaute Belohnungstrickkiste oder auch ein Erinnerungsdingdong. Finanzielle Incentives sind auch hilfreich: Wir können uns selbst Geld überweisen, wenn eine bestimmte Hürde geschafft ist.
Dieses Jahr absolviere ich zwei Weiterbildungen: Eine davon bezieht sich auf das Coaching von Menschen mit Hoch- und Höchstbegabung. Ich habe lange den Wunsch, das auszubauen. Ich halte das Thema auch für Organisationen und Führung sehr relevant. Denn: Zu oft erkennen wir die Schlauen nicht.
Und so trefft ihr nächste Woche an dieser Stelle Frauke Niehues, die sich genau darauf spezialisiert hat. Es war ein sehr interessantes Gespräch mit ganz vielen Facetten.
Ich freue mich, wenn ihr wieder reinhört, dann bei Weiterdenken Interviews.
Mit Gruß aus Riga (immer noch ohne Bucket List, aber schon nach der Briefwahl)
Foto: Eoneren - istock.com
Weiterlesen und -sehen
Katy Milkman: How to Change: The Science of Getting from Where You Are to Where You Want to Be (2021)
Bucket List Research Project bei Stanford Medicine
Tiefer einsteigen & mich kennenlernen
Mit dem Thema arbeiten wir praktisch bei “New Organizing” auf Gut Kattendorf, 10.-13.7.24. Hier werden keine Wundermodelle und neue Ansätze vermittelt. Es geht darum, Lösungen für die Fälle der Teilnehmenden zu finden. Vorkenntnisse hilfreich. Noch Plätze frei. Info.
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