007: Das Mindset-Paradox
Sie möchten wissen, wie sich ein anderes Mindset anfühlt? So eins, das Sie gerade dringend für Ihren Erfolg brauchen? Nicht mehr schwarz, sondern weiß - oder umgekehrt.
Agile, Digital, Serendipity oder Outward Mindset: In den Organisationen sind die Mindsets sind los. Bei Google suchen Tausende im Monat nach Begriffen wie “Erfolgs-Mindset” oder “Money-Mindset”.
Doch wie bekommt man so ein neues Mindset, wenn man ein nicht mehr Zeitgemäßes hat? Wer zum Teufel hat die Administratorrechte für die Master-Mindset-Einstellung?
A deal with God
„Wenn ich nur könnte, würde ich einen Deal mit Gott machen und ihn dazu bringen, unsere Plätze zu tauschen“, singt Kate Bush in „Running up that hill“.
Der Song sollte einmal „A deal with god“ heißen. Es geht darum, dass Kate wissen möchte, wie es sich anfühlt, so eine coole Socke wie ihr Lover zu sein. Sie will dessen Mindset ausprobieren.
Diese Woche belegte der Song aus dem Jahr 1985 Platz 1 diverser Charts und jagte durch TikTok. Alles wegen einer Netflix-Serie: Am Ende von Folge 4 der Staffel 4 von „Stranger Things“ kämpft die rothaarige Max gegen den üblen Dämon der anderen Seite, der sich mit ihr koppeln will. Durch die Musik von Kate kehrt sie wieder zurück zu sich selbst. Sie befreit sich vom übergriffigen Monster-Mindset. Ein kreativer Kunstgriff, wie ich finde. Musik, die befreit - und nicht nur verbindet.
Aber all das zeigt auch, dass es beim Mindset in Wahrheit um einen Pakt mit dem Teufel geht. Es ist aussichtslos zu glauben, man könne fühlen und denken, was ein anderer fühlt und denkt. Es ist gar verrückt anzunehmen, man könne so handeln, wie derjenige mit dem Wunsch-Mindset es tun würde. Weil unsere “Einstellungen” und Muster individuell entstanden sind und sich auch nur ändern, wenn es in unsere bisherige Logik passt.
Diese emotional aufgeladene Logik bestimmt wie wir Mindsets der unterschiedlichsten Geschmacksrichtungen von Agil über Digital und Serendipity bis zu Outward interpretieren. Diese Logik ist der Grund, aus dem wir die von schlauen Büchern und klugen Beratern vorgegebenen Mindsets schnell der Gehirnsubstanz gleich machen.
Sie zerschellen am präfrontalen Cortex. Mit ihm erklären wir uns die Welt, wie sie eben nur uns erscheint (und gefällt). Logisch ist dabei nur eins: unsere Logik.
Eine Gehirnwäsche gibt es, wenn überhaupt, dann nur unter absoluten Extrembedingungen. Nawalny lässt grüßen: Soviel ich weiß, noch immer ein unabhängiger Geist mit einer frei gewählten Mindset-Einstellung.
Wer sollte unser Mindset administrieren?
Mindset ist paradox. Es birgt einen unauflösbaren Widerspruch in sich. Denn Mindset ist tief verwurzelt im Kontext, in der Umwelt, in der Persönlichkeit. Die Einstellung eines Menschen ist Produkt seiner Umwelt, erwachsen aus seinen vergangenen Erfahrungen. Diese Einstellung lässt sich auch nicht so einfach wie Eiweiß von Persönlichkeit trennen, um Baiser-Zuckergebäck daraus zu machen….
Unkopierbar und doch mit Aroma
Es ist…. Komplexer als eine Schemazeichnung. Ja, wir können von Mindset anderer etwas ableiten und auch lernen. Und nein, verstehen werden wir das Mindset in seiner gesamten Fühl-, Denk- und Handlungslogik so wenig wie wir das Mindset eines anderen kopieren können.
Aber: Mindset kann Appetit machen. Wir können vom Mindset anderer etwas lernen. Aber nur, wenn wir sie mögen, schätzen, bewundern! Nur, wenn uns etwas mit ihnen verbindet!
Wir brauchen Menschen und keine Gehirne
Kate Bush war meine Ikone und ist es noch: Nie Mainstream und doch auf eine eigenwillige Weise erfolgreich, perfektionistisch in der Selbstoptimierung und experimentierfreudig zugleich. Als junges Mädchen malte ich ihre Cover nach und tanzte zu Wuthering Heights.
Auch jetzt noch bewundere ich ihre Kreativität, die sich nie nach dem Publikumsinteresse gerichtet hat. Wenn ich von jemanden lernen wollte, dann von einer Frau wie ihr. Vor 10 Jahren habe ich ihre „50 words of snow“ beim Joggen gehört und danach 50 Wörter zur neuen Arbeit komponiert, das löste damals eine Blogparade aus. Den Link zu meinem damaligen Beitrag finden Sie im Anschluss des Editorials.
Wir können kopieren, aber nicht neuschöpfen
Es gibt keinen Deal mit Gott. Wir werden nie denken, wie jemand anderes denkt. Aber wir können uns inspirieren lassen. Wir können nicht kopieren, aber wir können unsere Perspektive erweitern. Es funktioniert jedoch nur, wenn wir es wollen und für sinnvoll halten.
Es ist eben nicht nur eine Einstellung, es ist auch Fühlen – eingeschlossen das Nachempfinden. Nachempfinden ist aber nie das Empfinden selbst. Es ist wie eine Nacherzählung. Manche gehen daneben, andere gelingen. Gutes Nachempfinden ist harte Arbeit, denn es gelingt nur, wenn man sowohl den Ton des anderen trifft als auch bei sich bleiben kann.
Es gibt zwei Coaching-Fragen, die nur zusammen funktionieren. Die erste lautet: Wen bewundern Sie? Die zweite: Wie würde diese Person auf das Problem/die Frage/die Herausforderung sehen, die Sie gerade haben?
Und jetzt sind Sie dran.
Beiträge und Videos zum Weiterlesen:
Wiederaufgelegt, neu & diskutiert
Meine XING-Kolumne über “Gefährliches Mindset” unterlegt diesen Text noch mit etwas Futter.
Zum Thema “Gefährliches Mindset” habe ich auch ein Video aufgezeichnet, für alle, die lieber hören UND sehen.
Die “50 Words of Snow” von Kate Bush übertragen auf Neue Arbeit, mein Blogbeitrag aus dem Jahr 2012
Das systemische Institut Kassel freut sich tierisch über mein Buch “Business Slowdown”, hier der Post
Dieser Post wurde bisher 7.000 mal aufgerufen. Es geht um Elon Musk und seine Homeoffice-Ansage. Mir sagt die Diskussion einiges über Schwarzweiß-Mindset.
Videoblog: Freue mich nach wie vor, wenn ihr den Kanal abonniert. Im Moment lege ich deutlich zu. Dienstags gibt’s neue Videos.
Was ich diese Woche interessant fand
Das Medienmagazin Heise schreibt über das Hamsterrad der Produktivität, in dem die Zukunft schlecht neu erfunden werden kann. Das ist auch das, was ich mit “Business Slowdown” ausdrücken will. Hier.
Beängstigend und spannend fand ich (wieder einmal) politische Debatten, die mir zeigen, dass wir nicht damit umgehen können, dass eine gute Meinung unumstößlich ist. Meinung muss sich verändern, muss sich immer wieder neu ausrichten.
In diesem Zusammenhang möchte ich die großartige Sybille Berg zitieren, übrigens auch ein Mensch, von dem ich lerne. Übers Hinterfragen
Meinungen bestehen aus Gedanken, und nichts ist flüchtiger. Nichts wiederum zeichnet eine Inflexibilität des Geistes so stark, wie auf seiner angeblichen Meinung zu beharren. Eine Meinung zu haben und sie nicht zu verändern heißt, sich nicht weiterzubilden.
im Interview mit der FAZ
danke Martin für diese ergänzenden Gedanken! Frohes neues Jahr für dich und alle :-)
Guter Punkt Svenja. Der Religionsphilosoph Alan Watts (1915-1973) bemerkte: „Schon in der Vorstellung, ich muss mich bessern, steckt die offensichtliche Schwierigkeit, dass wenn ich der Besserung bedarf, das ich, dass sich ans Werk der Besserung macht, ist das ich, das verbessert werden muss. Um mich ändern zu können, müsste ich mich schon geändert haben und ein anderen sein.“
Da wir nicht ein Ich sind, sondern jedes Teilpersönlichkeit einen eigenen Ich-Identitätsraum darstellt, ist dieses paradox erscheinende Rätsel lösbar. Wir sind gleichzeitig der, der sich entwickeln sollte, als auch der, der sich gerade entwickelt, als auch der, der dagegen Widerstand leistet. Je nach verbalem Ich-Konstrukt, mit dem wir uns temporär identifizieren und dem wir unsere Identität verleihen.