Werdet endlich anders!
No. 44 Die Grenzen von Persönlichkeitsentwicklung, die Causa Döpfner,, woran wir wachsen
No. 44 Grenzen von Persönlichkeitsentwicklung, Causa Döpfner, woran wir wachsen
Bevor sie zur Führungskraft werden, drehen Menschen auf. Sie legen an Extraversion und Risikobereitschaft zu. Kaum jedoch ist der Aufstieg gelungen, nimmt dies auch wieder ab - Persönlichkeit passt sich dem Kontext an. Übrigens auch das Glücksgefühl: Das nämlich sinkt nach einen Aufstieg wieder.
Spezifisch für Führungskräfte indes bleibt, dass sie extravertierter und emotional stabiler sind als ihre Kollegen. Grundsätzlich haben sie in allen Dimensionen höhere Werte. Ob dies auch für Offenheit gilt, ist umstritten - und je nach Branche, Beruf und Perspektive unterschiedlich. Unumstritten ist indes, dass offene Menschen komplexer denken, sich für Philosophie, Kunst und Kultur interessieren und experimentierfreudig sind. Und oft geht Offenheit mit Extraversion zusammen.
Letzteres entnehmen wir der Forschung zu den sogenannten OCEAN oder Big-Five-Eigenschaften. Hier werden über eine längere Lebensspanne stabile Eigenschaften beschrieben. Diese Big Five gelten in der Wissenschaft und psychologischen Forschung als anerkanntes Modell zur Messung einer Persönlichkeit - im Unterschied etwa zu MBTI oder DISG, bei denen Psychologen begründet ächzen (so auch Frau Asselmann im folgenden Podcast).
Jeder Mensch besitzt diese Persönlichkeitsfaktoren, in jedem Kulturraum. Und zu keinem Modell gibt es so viele unabhängige Studien. Wir wissen also, welche Merkmale z.B. mit Depressivität korrelieren oder mit welchen Big Five Lehrer im Job glücklicher sind.
Hier die Big Five im Überblick:
Openess - Offenheit
Conscientiousness - Gewissenhaftigkeit
Extraversion
Agreeableness - Verträglichkeit
Neuroticism - Neurotizismus oder auch umgekehrt: emotionale Stabilität
Was sind die entscheidenden Faktoren für eine Persönlichkeitsentwicklung?
Doch was verändert diese Faktoren? Was bringt einen kontrollierend führenden Experten dazu, sich den anderen zu öffnen? Welchen Knopf muss man für persönlichen Wandel drücken? Oder auch: Was sind die entscheidenden Faktoren für eine Persönlichkeitsentwicklung? Ist es ein Training? Sind es Ziele?
Es scheint, dass die beruflich erforderte Anpassung an einen neuen Kontext den größten Schub bewirkt. Die Wissenschaftlerin Eva Asselmann hat diese Veränderungen erforscht. Sie kommt zu dem Schluss: Junge Menschen verändert der Einstieg in den Beruf messbar. Sie fügen sich in ihre neue Rolle, passen sich ihr an. Sie werden dadurch typischerweise gewissenhafter. Kontraintuitiv ist hingegen die Wirkung des ersten Babies: Die neue familiäre Situation berührt unsere Persönlichkeit kaum. Und das obwohl jeder sagt, wie sehr das Kind ihn und sie verändert hat…
Dolce-Vita-Effekt
Über 50 wiederum kristallisiert sich der Dolce-Vita-Effekt heraus: Die emotionale Stabilität legt zu, Gewissenhaftigkeit nimmt ab. Menschen aber, die weniger gewissenhaft sind, werden unbekümmerter und spontaner. Sie setzen ihre Prioritäten nicht mehr unbedingt im Job. Und das Selbstbewusstsein hat ein Plateau erreicht, wo man anderen nichts mehr beweisen muss: Die Schäfchen sind im Trockenen.
Selbst wo das in diesem Alter (noch) nicht der Fall ist, ist die Anpassungsfähigkeit dennoch geringer, sagen Studien. Und das erinnert mich an eine befreundete Unternehmerin, die mehrfach über 50jährigen eine Chance geben wollte - doch es klappte nie. An welcher Persönlichkeit mag es nun gelegen haben? An ihrer oder denen der anderen?
Meine eigenen Versuche, die Big Five zu ignorieren, haben mich gelehrt, die Grenzen des Wachstumsoptimismus zu sehen. Es ist einfach unwahrscheinlich, dass jemand mit eher niedriger Offenheit sich plötzlich mit Freude durch komplexe Aufgaben fräst… Natürlich gibt es viele Einflussfaktoren, etwa die vertikale Ich-Entwicklung - Eigenschaften aber haften einfach stark an einem. Und lassen nun einmal bestimmte Stärken blühen, während andere verborgen bleiben.
Was einen nicht davon abhalten sollte, die Überraschung zu erwarten - allerdings eher nicht in einem stabilen, unveränderten Kontext. Doch gerade daran arbeiten sich manche Personalentwicklungsverantwortliche auf der Suche nach Maßnahmen für ihre Führungskräfte ab. Vielleicht sollten sie einfach einmal auf ihre eigenen Big Five schauen…
Kann der Elefant zum Zebra werden?
In diesen Zeiten fragen sich immer mehr Menschen, ob und inwieweit wir uns ändern können. Sei es, um die gesellschaftlichen Herausforderungen zu bewältigen oder die sich rasant verändernden Jobprofile auszufüllen.
Führungskräfte stehen unter besonderem Change-Druck. Die Mails von Springer-Chef Döpfner empören gerade auf breiter Front. Aber ist er nicht ein Musterbeispiel für das, was passiert, wenn Kontrolle und Feedback wegfallen? Wenn sich jemand genau so richtig wähnt, wie er oder sie ist? Da hat sich nichts verändert, gar nichts. Einzig die Wahrscheinlichkeit, dass Daten an die Öffentlichkeit kommen vergrößert sich stetig. Macht wächst je mehr sie vorhanden ist.
Und je weniger jemand daran rüttelt. Und das zeigt genau das, worauf es ankommt: einen integren Charakter, der sich auch zeigt, wenn alle weggucken. “Mature Leadership” nennt es die Unternehmerin Constanze Buchheim. Doch seien wir ehrlich: Immer noch werden die befördert, die die Probleme lösen können, weil sie überzeugt sind, es zu können und entsprechend auftreten und vernetzt sind. Immer noch gibt es diese Exklusivbehandlung der obersten Führungsriege. Sie wird von anderen Coaches gecoacht, besucht eigene Veranstaltungen, bekommt eigene Schulungen.
Der Glaube an Augenhöhe ist naiv. Augenhöhe ist eine Show für die unteren und mittleren Ebenen.
Persönlichkeit setzt sich aus vielem zusammen. Sie ist die Intelligenz eines Menschen, seine Kontrollüberzeugungen, die Selbstwirksamkeitserwartung und das Selbstwertgefühl. Motive spielen eine Rolle. Lebensphasen. Und die Art der Interpretation all dessen durch Ich-Entwicklung.
Alles prägt sich in einer stetigen Wechselwirkung aus
Das alles prägt sich in einer stetigen Wechselwirkung aus: Wir suchen die Umfelder, in denen wir wachsen können. Wenn wir nicht den Schatten suchen, neigen wir uns wie die Tulpen dem Licht entgegen. Und verlagern unsere Talente dahin wo Anerkennung lockt. Manche gedeihen auch nicht selbstbestimmt, sondern passen sich eher den Gegebenheiten an. Das sind die, die weniger überzeugt, die Dinge selbst in der Hand zu haben.
Wir neigen uns wie die Tulpen dem Licht entgegen. Svenja Hofert
Persönlichkeit ist mächtig. Mächtiger als viele wahrhaben wollen. Darüber habe ich mit Prof. Dr. Eva Asselmann im Podcast gesprochen, den ihr am Ende dieses Beitrags hören könnt. Sie hat ein sehr empfehlenswertes Buch über die Frage geschrieben, woran wir wachsen. Sie beruft sich dabei auf viele aktuelle wissenschaftliche Studien.
Die Wahrheit wird vielen nicht gefallen: Veränderungen sind mühselig, kleinteilig, radikale Wandel unwahrscheinlich. Aus einem gewissenhaften Routinemenschen wird kein offener Weltenbummler. Die Sache ist aber auch die: Warum braucht es solche radikalen Schwenks? Ein bisschen mehr kann viel ändern. Die richtige Person an der passenden Stelle. Entwicklungsprogramme, die sich an der Erkenntnis ausrichten, dass Lernen eher in neuen Umfeldern stattfindet.
Und so ist es möglich, dass jemand offener wird, einfach weil er oder sie das will. Das ist dann auch die Voraussetzung: Das Wollen, die Zielsetzung. Hilfreich, wenn Selbstwirksamkeitserwartung dazukommt. Und Resilienz, die so Asselmann in ihrem Buch, offensichtlich bis zu einem gewissen Grad trainiert werden kann.
Was jedoch nicht funktionieren wird ist der Versuch einer Neuprogrammierung ganzer Führungsriegen, wie ich es derzeit oft erlebe. Denn Persönlichkeit festigt sich durch die wiederholte Selbstbestätigung. Es ist auch der Kontext, der prägt und Muster verfestigt. Dieser gibt laufend Feedback, auch ohne jede aktive Resonanz. Das Nicht-Reagieren ist Reaktion genug.
Ent-Lernen ist in diesem Sinne nicht möglich. Die Vergangenheit bleibt immer in uns. Da müssen wir Berater vielleicht manchmal etwas demütiger und weniger idealistisch sein. Denn auch wir haben eine bestimmte Persönlichkeit, die die eigene Sicht prägt. Wir sind oft offener, neugieriger, veränderungsaffiner. Aber von uns auf andere zu schließen ist vermessen.
Podcast: Interview mit Prof. Dr. Eva Asselmann
Weiter: Lesen, Sehen & Hören
Eva Asselmann / Martina Pahr: Woran wir wachsen, Ariston 2023. Sehr unterhaltsam und kompetent geschrieben. Mit extrem vielen aktuellen Studienergebnissen, Bezügen zu Themen wie Corona (welche Big Five haben sich hier gezeigt?) und Coachingboxen.
Beitrag von Haufe über Führungspersönlichkeit und Big Five
Mein Selbstversuch Big Five von 2012
Video über die Veränderungsformel und ihre Anwendung:
Inspiriert hat mich diese Woche
Das Buch von Eva Asselmann und der Gedanke: Frauen sind im Durchschnitt weniger extravertiert als Männer und verträglicher. Und die Frage: Was bedeutet das für die alten Macht-Themen?
Den sehr empfehlenswerten Podcast von Constanze Buchheim mit Team A verlinke ich hier noch mal, findet sich natürlich nicht nur bei Apple
Offene Termine
Mit Emanuelle Quintarelli bin ich Keynote Speaker auf der Agile World in München. Thema “From Hierarchies to Ecosystems”. Hier findet ihr Infos.
TeamworksPLUS Gruppe 15 steht. Wir freuen uns auf Anmeldungen zu Gruppe 16 Info
Ich merke, dass einige sich fragen, ob sie die Voraussetzungen für die Summer School New Organizing haben. Ihr könnte mich dazu gerne fragen ;-) Hier findet ihr Infos zur Summer School Organisationsentwicklung und zur Masterclass Nextlevelcoaching im Herbst.
Und dann nicht vergessen: Nextlevelcoaching im Herbst. Hier wollen wir uns mit aktuellen Herangehensweisen im Kulturwandel und Coaching beschäftigen. Über die ganzen fünf Tage arbeiten wir mit Spiral Dynamics. Big Five und Ich-Entwicklung beziehen wir auch ein. Ideal auch, um eigene Themen im Kontext der eigenen Organisation zu bearbeiten.
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Fortgeschrittene: Meldet euch jetzt schon für meine Summer School Organisationsentwicklung und die Masterclass Nextlevelcoaching im Herbst an.
Nächste TeamworksPLUS-Gruppe startet am 30.3.23. Seid ihr dabei?
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