Wenn Werte Pogo tanzen
No. 66 Die Elementarteilchen der Veränderung * Ökonomie & Ökologie * der Praxisfall Edding
No. 66 Die Elementarteilchen der Veränderung * Ökonomie & Ökologie * der Praxisfall Edding
„Euer Modul über Werte war die Rettung! Danach haben wir uns im Team ganz anders damit auseinandergesetzt.“ In dem Modul geht es um Werte und Wandel.
Werte sind keine Papiertiger. Sie zeigen sich erst in ihrer Existenz. „Werte sind handlungsleitend“, sagt Gitta Peyn im Podcast mit mir, der diesem Beitrag folgen wird.
Werte bewegen, jedoch nicht immer so wie sie sollen. Sie werden zu oft missverstanden. Weder lassen sie sich verordnen, noch kann man sich darauf einigen. Manche würden sie gerne messen, aber ich halte das für vermessen.
Denn Werte sind immer auch emotional verbunden. Emotionen lassen sich anhand von Blutdruck und Herzschlag “messen” nicht aber in ihrer Handlungsdimension erfassen. „Ich krieg´ Blutdruck“, sagt ein Kollege manchmal, wenn es um unsere verschiedene Sicht auf Werte geht. Das sagt vor allem eins: Über Werte kann man und muss man streiten. Denn sie sind persönlich, organisational, gesellschaftlich und kulturell.
Sie sind wie Elementarteilchen der Psychologie der Veränderung. Es sind ihre kleinsten Bausteine. Svenja Hofert
Doch nicht nur die Psychologie hat sich ihrer bemächtigt…
1: Was sind Werte?
Werte sind manchmal nichts als Worte
In Wertelisten, wie sie im Internet kursieren, sind Werte erstmal vor allem eines: aneinandergereihte Worte. Shalom Schwartz deklariert eine kulturvergleichende Werteforschung. Was Schwartz jedoch als Werte benennt, könnten aus einer anderen Perspektive genauso gut Motive sein. Oder Emotionen, wenn man Lisa Feldtmann-Baretts Konstrukt-Sicht damit zusammenführt (hier Podcast).
Auf Unternehmenswebseiten etikettieren Unternehmen Worte als Werte. Die geschriebenen Worte koppeln sich schnell vom Alltagshandeln ab - so wie auch das Alltagshandeln von der Strategie. Dann etikettiert sich ein Unternehmen beispielsweise als ökologisch, obwohl es nicht so handelt. Es stellt Werte auf die Schaubühne. Da werden sie mehr oder weniger glaubwürdig vom Personal verkörpert.
„Das widerspricht meinen Werten!“
So einen Satz habe ich oft gehört. Er könnte auch lauten: “Ich habe hinsichtlich dieses Handelns ein schlechtes Gefühl.” Manchmal stelle ich mir und anderen daraufhin eine Rückfrage: „Ist das, was du fühlst und denkst jetzt relevant? Müssten wir die Werte nicht aus unserer Rolle und im Kontext in der Situation betrachten?“ Und dann bringe ich die Hierarchie der Werte ins Spiel und die Frage: “Welche Werte sind nicht diskutierbar?”
Manchmal bringt es zum Nachdenken, manchmal erzeugt es Fragezeichen. Was dahinter steht: Ich glaube, dass wir uns missverstehen müssen, damit wir uns verständigen können. Denn Werte laufen durch die Filter der Systeme. Die Systemtheorie hält sie für nicht paradoxiefähig.
Wir können also nur einem Wert zugleich handelnd folgen. Deshalb sollten wir unsere Systeme absichtlich auf Widerspruch ausrichten. Das zeigt sich etwa in der Ambidextrie. Die wird aber auch allzuoft missverstanden.
Es können nicht die gleichen Personen gegensätzlich handeln, also innovativ und bewahrend zugleich sein. Es muss Zerstörer geben und Bewahrer - zugleich. Die Werte, die Elementarteilchen der Veränderung, sollten Pogo tanzen.
Diese Idee habe ich jetzt aus dem Gespräch mit Gitta Peyn entwickeln. Was Pogo bedeutet, hört ihr in dem kleinen Audioschnipsel.
Wir müssen also aneinanderprallen, damit wir Möglichkeiten und Grenzen der Kooperation erfahren und Neues entstehen kann.
Pogofähig bedeutet, sich in den Tanz mit Anderen begeben zu können und damit umzugehen, dass es auch mal blaue Flecken gibt. Zur Pogofähigkeit gehört, Strauchelnde aufzufangen und Schwächere zu beschützen.
2: Verschiedene Sichtweisen auf Werte
In unterschiedlichen Disziplinen habe ich auf den ersten Blick unterschiedliche Definitionen von Werten kennengelernt:
In der Psychoanalyse spielt besonders auch das Thema Unbewusstsein eine Rolle und die Frage, wie dieses mein Handeln steuert. Da ist es naheliegend über Moral nachzudenken. In diesem Zusammenhang habe ich gelernt: Wenn etwas in unser Bewusstsein dringt, ist es heilsam. Denn dann können wir es sehen, fühlen, neu deuten.
Nicht so fern davon steht die Moralpsychologie. Vertreter sind z.B. Laurence Kohlberg oder Jonathan Haidt. Letztere stellte politische Bezüge her. Damit verbunden habe ich gelernt: Moral ist kulturell geprägt und tief verankert. Moralische Werte ändern sich nicht, sondern sind stabil. Sie sind fast eine eigene Kategorie.
In der systemischen Hypnotherapie habe ich die Bedeutungsgebung von Sprache noch mal ganz anders gespürt. Ich habe erfahren, wie bedeutend die Geschichten um die Werte sind und wie wichtig die Einbettung in erweiternde Kontexte ist.
In der neueren Verhaltenstherapie, aus der beispielsweise ACT (Akzeptanz-Commitment-Therapie) hervorgegangen ist, betrachtet man Werte als Handlungsqualitäten, die mit Kognitiven Emotionen und Verhalten verbunden sind.
In der Systemtheorie nach Luhmann sind Werte definiert als „grundlegende Überzeugungen, die das Verhalten leiten und Prinzipien darstellen, an denen der Einzelne festhält“
In allen Ansätzen spielt die Sprache eine entscheidende Rolle. Über ein Bewusstwerden der Kopplung von Emotion und Sprache, entsteht die Fähigkeit zur Selbstregulation. Manche systemische Ansätze sind darauf ausgerichtet, sozialisierte Normen von persönlichen Normen zu trennen. Heilung entsteht da, wo wir bei uns selbst sind, zu etwas stehen, Fremdkörper abstoßen. Introjekte nennt das die Psychoanalyse.
Erstrebenswert ist ein Zustand, indem wir als Mensch und Kollektiv in der Lage sind, auf uns selbst zu blicken und unsere Wert-verbundenen Emotionen und körperlichen Sensationen wahrzunehmen. Wo wir uns rausziehen aus dem engen Fokus und von oben auf Situationen und Kontexte schauen, mit dem Vergrößerungsglas sozusagen: Was ist es für mich, was für dich? In diesen Momenten können wir uns von den Worten lösen, die wir mit diesen Begriffen verbinden, diese greifen und auch sprachlich neu deuten.
Das ist ein Grundgedanke im Entwicklungsbaum, den ich vor einiger Zeit entwickelt habe (ihr findet ihn wie auch das Audio dieses Beitrags und die Abschnitte 3-5 im Paid-Bereich).
Alles ist verbunden, doch Werte verändern ihre Farbe wie Blätter im Laufe der Jahreszeiten. Der Baum steht für mich auch für einen Kerngedanken: Ein Baum braucht sein Umfeld, den Kontext, die passenden ökologischen Rahmenbedingungen. Und auch Jahreszeiten.
Mit einem 7-tägigen kostenlosen Probeabonnement weiterlesen
Abonnieren Sie Weiterdenken, um diesen Post weiterzulesen und Sie erhalten 7 Tage kostenlosen Zugang zum gesamten Post-Archiv.