Vielleicht haben Sie mitbekommen, dass Putin diese Woche seinen Außenminister Lawrow unflätig beschimpft haben soll. Was würden Sie tun, wenn Ihnen so etwas passieren würde? Denken Sie bitte das Umfeld mit. Und auch die Tatsache, dass das Online passiert sein soll. Beziehen Sie die Vergangenheit mit ein, die beide miteinander und getrennt voneinander vermutlich haben. Und diesen Gedanken: Es könnte unmittelbare und verzögerte Reaktionen geben.
Wie entstehen Eskalationen? Eine Spirale der Gewalt? Warum schaffen es Menschen, sich so aufzuheizen, dass sie Kriege gegeneinander? Ich meine das im direkten und übertragenen Sinn.
Wir wissen alle: Nicht nur in der Politik, auch in den Organisationen finden minütlich Spiele und Spielchen statt. Entscheidungen sind dabei Spielzüge, die eine Reaktion erzeugen. Auf diese erfolgt eine Gegenreaktion und so weiter. Die Qualität der Spielzüge zeigt sich erst im Nachhinein, manchmal Jahre später. Manchmal wie beim Tankrabatt sofort. Das gilt auch für Kommunikationen wie die von Putin und Lawrow - und damit meine ich auch das nicht-gesagte Wort.
Beispielsweise ein Bild. Denn was es erzeugt, kann individuell sein.
Kriege entstehen um Illusionen.
Ich habe den Kackhaufen zur Illustration ausgewählt, weil das eine kleine Sache ist, die fast jeder missverstehen kann. Dann kann aus Nichts und Minus-Nichts ein Konflikt entstehen. Mir selbst ist das mal mit genau diesem Emoticon passiert. Ich habe im Chat sensibler darauf reagiert als es für einen klugen Spielzug angemessen gewesen wäre. Ich habe es persönlich genommen. Dabei lacht das Häufchen ja und könnte auch scherzhaft gemeint sein.
Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht. Ich liege mit vielen dieser Emoticons oft komplett daneben – mein Sohn macht mich immer wieder auf meine unpassende Online-Bildsprache aufmerksam. Garantiert habe ich schon Leute beleidigt, ohne es zu merken.
Eskalationen entstehen unbeabsichtigt
Das meine ich mit Eskalationsspirale. Sie entsteht auch ohne dass sie jemand beabsichtigt hat - so wie sie auch nicht entstehen muss, wenn jemand etwas beabsichtigte. Das hat einen einfachen Grund: Wir reagieren ständig aufeinander. Unsere Reaktion entspricht aber nicht der jeweils gesendeten Botschaft, sondern einem komplexen Mechanismus. Das alte Sender-Empfänger-Prinzip ist unterkomplex.
Da ist der große und der kleine Kontext, da ist die Vorgeschichte, da sind Persönlichkeitsmerkmale und Motive. Und da ist eben auch das Wetter und die Uhrzeit - selbst die spielen eine Rolle. Sogar der Name im Alphabet, der dazu führt, dass man eher oder später dran kommt. Oder das Videokonferenzsystem: Über die fatale Wirkung eines Begriffs wie “Teambesitzer” bei MS Teams habe ich schon mal geschrieben.
Jedenfalls: Alles unmöglich berechenbar. Und doch können wir klarer sehen, wenn wir zumindest einige Faktoren bedenken.
Gerade komme ich aus unserem zweiten Modul unserer agile Teamentwicklungs-Ausbildung TeamworksPLUS. Dort und zu vielen anderen Gelegenheiten begegnen mir immer wieder Beispiele für unkooperatives Verhalten in Unternehmen. Der Klassiker, der in unseren Praxisfällen wieder vorkommt, sind die Quertreiber.
Das sind Stefans, Gabis, Peters, Karlheinz: Menschen, die konsequent in die andere Richtung laufen und gegen fast alles sind. Manchmal haben sie eine Homebase. Manchmal einen früheren Erfolg, den sie als statische Errungenschaft ansehen. Also sind sie gegen Veränderungen in der überall stattfindenden Transformation, weil diese in ihrer Art zu Denken den früheren Erfolg kaputt macht. Motivierte Vorweitertreiber arbeiten sich dann daran ab, bis in den Burnout.
Tit for Tat: Erst geben
Das Verhalten ist völlig irrational, aber für die jeweiligen Personen oder Personengruppen ist es das Logischste überhaupt,
Wie kann man tun? Eine praktische Antwort liefert Tit for Tat und überhaupt die Spieltheorie. Für alle, die jetzt nicht sofort „kenn ich“ sagen. Das ist das mit John Nash und Nash-Equilibrium. Oder auch dem Gefangenendilemma. Ich habe weiter unten gute Links und Empfehlungen dazu gesammelt.
Tit for Tat sagt nichts anderes als “wie du mir, so ich dir”. Das klingt profan, ist es aber nicht. Es ist nachgewiesen, dass Menschen, die erst geben, eine höhere Aussicht darauf haben, dass auch der andere positiv einzahlt. Zeigt aber das Gegenüber trotz positiver Einzahlung mehr als zwei Mal umkooperatives Verhalten, dann sollte man selbst nicht im Engel- und Harmonieschema bleiben.
Grundsätzlich ist es sehr hilfreich, sich immer bewusst zu sein, dass wiederholte Reaktionen gleicher Art erstens zu Berechenbarkeit und zweitens zu einer Spirale führen. Deshalb ist es sinnvoll, Spielzüge gut zu durchdenken. Und noch mehr komplexe Zusammenhänge gemeinsam zu analysieren. Denn dann. werden sie überschaubar.
Das kann man mit gruppendynamischen Ansätzen tun oder mit der Spieltheorie oder anderen Konstrukten etwa der Systemtheorie (oder vielmehr … den Systemtheorien). Je mehr man nutzt, so meine Erfahrung, des vieldimensionaler das Bild. Die Folge: Die Qualität der Entscheidungen steigt immens.
Morgen, 13.6. um 9 Uhr startet ein Video-Impuls zum Thema Kooperatives Verhalten am Beispiel Putin-Lawrow, hier zur Video-Premiere
Was sind eure Erfahrungen? Habt ihr weitere Tipps?
Bild: Shutterstock
Beiträge und Videos zum Weiterlesen:
Wiederaufgelegt, neu & diskutiert
Mein Text “Warum Sie als gutwilliger Geber viel erfolgreicher sein können” zum Buch und Konzept “Geben und Nehmen” von Adam Grant aus dem Jahr 2014 war damals sehr beliebt und hat nichts von seiner Aktualität verloren. Geben und Nehmen ist auch sehr nah an “Tit for Tat”.
Meine XING Kolumne von letzter Woche “Gefährliches Mindset” ist nun schon ohne Bewerbung bei 7.000 Abrufen - das ist sehr viel für einen Special-Interest-Text, der nicht explizit von der XING-Redaktion beworben wurde. Scheint einen Nerv getroffen zu haben wie auch das Video.
Was ich diese Woche interessant fand
Letzte Woche fragte mich ein Seminarteilnehmer, ob wir nicht einen Kurs zur Spieltheorie anbieten möchte. Nun baue ich das bezogen auf das Thema New Work in unsere Summer School und in Nextlevel ein. Wir planen weiter, siehe nächster Punkt.
Und wenn man dann ein Thema (wieder) entdeckt hat: Kaum habe ich mich auf Seite 100 im Buch “Spieltheorie für Einsteiger” von Christian Rieck vorgearbeitet, höre ich dann auch den Spieltheorie-Podcast von den beiden Znipcastern Janina & Henry. Das Buch ist sehr empfehlenswert, wie auch der Kanal von Prof Christian Rieck.
An dieser Stelle möchte ich nicht ohne Stolz erwähnen, dass Janina von Znipcast unserer Kurs „Agiles Teamcoaching“ gibt. Sie und Henry gehören zu den offenen und interessierten Zauberwesen der Online-Welt. Leute, die ohne Anspruch auf Wahrheit miteinander sprechen und ihre Gedanken können. Das finde ich großartig. Folge 109 also als Tipp für die, die sich einen Überblick über das Thema aus der Sicht eines Informatikers und einer Wirtschaftspsychologin machen wollen.
Zu diesen offenen Zauberweisen gehört im übrigen auch Martin Permantier. Die meisten seiner Podcasts sind in diesem Plauderton und gefallen mir sehr. Hier der Link auf meinen Podcast mit ihm. Keine Spieltheorie, aber durchaus spieltheoretisch nutzbare Gedanken.