Was ist jetzt schlau?
Newsletter 26: Komplexe Ziele, wahre Intelligenz und ein Entwurf für eine schlauere Zukunft
Newsletter 26: Komplexe Ziele, wahre Intelligenz und ein Entwurf für eine schlauere Zukunft
Business und People - wie geht das zusammen? Kreativität ermöglichen - und dabei nicht mit Methoden abwürgen? Ehrlich sein - und dennoch keine Angst verbreiten? Wird euch auch ganz schwindlig? Besser wär’s.
Das Gegenteil von schlau ist nicht dumm, sondern anfällig und verwundbar. Svenja Hofert
Das Gegenteil von gut ist nicht etwa böse, sondern gut gemeint, schrieb Kurt Tucholsky. Das Gegenteil von schlau ist nicht dumm, sondern anfällig und verwundbar. Das sage ich. Was aber anfällig und verwundbar ist, ist zunächst nicht offensichtlich.
Was dumm ist, zeigt oft erst der schwarze Schwan
Die Twin Towers stürzten ein, obwohl sie auf eine Boing 707 vorbereitet waren. Die Türme verband eine leichte Stahldeckenkonstruktion. Und die war die Schwachstelle des Gebäudes. Der Aufprall sprengte den einfachen Feuerschutz aus Gipsplatten und zerstörte die Sprinkleranlage. Das Kerosin der Flugzeuge wirkte als Brandbeschleuniger. Durch das über 1.000 Grad Celsius heiße Feuer schmolz die innere Stahlkonstruktion. Die Decken stürzten ein. Der Rest ist 911.
Was dumm ist, zeigt oft erst ein schwarzer Schwan, den niemand für wahrscheinlich hält.
Wie schafft man es, dass KI im Zweifel die Bösen dieser Welt einsperrt - und nicht etwa die Guten?
Was dumm ist, zeigt sich eben nicht immer sofort. Nehmen wir Künstliche Intelligenz. Da fragen sich gerade viele: Was wäre schlau für die Menschheit? Wie schafft man es zum Beispiel, der AKI – also der Allgemeinen Künstlichen Intelligenz, die ihre Software und Hardware reproduziert – ein moralisches Bewusstsein einzuhauchen? Auf dass sie im Zweifel die Bösen dieser Welt einsperrt - und nicht etwa die Guten oder gar alle? Durch welche Merkmale unterscheidet sie Putin von Scholz? Und wer gibt ihr die Algorithmen für ein solch moralisches Lernprogramm ein?
Zurück ins Büro - kann dumm sein
Lasst uns weniger groß denken. Wenn Arbeitgeber Mitarbeitende, die seit zwei Jahren im Homeoffice sind, zurückdiktieren, ist dies womöglich dumm, weil anfällig. Es könnte zu Kündigungen kommen. Ja, gut möglich, dass die bisher hochgehaltene Motivation nun gänzlich schwindet – und Dienst nach Vorschrift einzieht. Also genau das eintritt, was Arbeitgeber befürchten. Self-Fulfilling.
Quiet Quitting ist derzeit ein Trend am Arbeitsmarkt. Manche sagen, es sei nur eine innere Kündigung. Die Interpretation ist aber anfällig, sollte es anders sein. Was wäre, wenn Arbeitnehmer erkannt haben, dass sie den Job für ihre Identität nicht brauchen? Was wäre, wenn sie einfach nur einen sicheren Job haben wollen und dafür einen gewissen Aufwand leisten wollen. Aber eben nicht mehr.
Job als Job – und nicht mehr als Identität wie es früher war. Der schlaue Personaler würde das erkennen, der dumme nicht. Was schlau ist und wer, liegt allerdings nicht sofort auf der Hand. Und, oh weh, man muss um das vermutet Schlaueste streiten. Denn schlaue Lösungen entstehen mit dieser Definition nicht mehr so leicht im Hinterzimmer. Und sie sind eben nicht sofort als schlau erkennbar.
Schlaue Lösungen entstehen nicht mehr so leicht im Hinterzimmer.
Kurzer Schwenk zur Gaspreisbremse an. Keine Hinterzimmerlösung, wenigstens. Das ist aber keine Garantie, das das Ergebnis schlau in unserem Sinne ist. Zeigt sich diese Bremse als anfällig und verwundbar, gar als kontraproduktiv, wäre sie keine intelligente Lösung. Aber aufs Glatteis hoher Politik begebe ich mich hier nicht, das wäre nicht schlau.
Ich gebe lieber zu, nicht zu wissen. Und ich meine, es wäre schlau, wenn das viel mehr Leute tun würden.
Zu viele haben zu wenig Ahnung von zu viel, das sie verantworten. Svenja Hofert
Aber das zugeben? Das traut sich inzwischen sogar der einst hochgelobte Habeck nicht mehr.
Was ist Intelligenz?
„Intelligenz ist die Fähigkeit, komplexe Ziele zu erreichen“, schreibt der MIT-Professor Max Tegmark, der das Buch „Leben 3.0“ zum Bestseller gemacht hat. Er wischt damit bisherige Definitionen vom Tisch. Psychologen behaupten dabei immer noch, Intelligenz sei das, was ein Intelligenztest misst. Nach wie vor argumentieren sie, dass der mit einem solchen Test gemessene statistische IQ den Führungserfolg belege.
Intelligenz ist die Fähigkeit, komplexe Ziele zu erreichen. Max Tegmark
Doch welchen Erfolg meinen die Psychologen damit? Sie können nur die Vergangenheit statistisch vermessen, aber nicht die Zukunft.
Durchschnittlich offen - reicht das?
Die Vergangenheit zeigt bis in die jüngere Zeit auch Folgendes: Im Persönlichkeitstest „Big Five“ schneiden Führungskräfte mit durchschnittlicher Offenheit für neue Erfahrungen in einem Merkmal schlecht ab, das stark mit Veränderungsbereitschaft korreliert. Sie sind zudem überdurchschnittlich gewissenhaft, kontrollieren gern und sind (zu) genau. Dieses Merkmal wiederum steht dem freien und spielerischen Experimentieren oft konträr entgegen.
Man könnte sich also fragen: Helfen uns all diese durchschnittlich offenen und überdurchschnittlich gewissenhaften Führungskräfte gerade beim Lösen dieser multiplen Krisen – oder verhindern sie sie? Und wer sitzt da in der Politik - und stellt die Weichen für unsere, auch wirtschaftliche Zukunft?
Wenn der Intelligenzforscher Flynn der Weltbevölkerung seit mehr als 20 Jahren nachlassende Intelligenz attestiert, bezieht er das auf den statistischen IQ. Jenen, der einen G-Faktor kennt, also einen generellen Intelligenzfaktor.
Die Intelligenz von Tegmark ist ganz anders geartet. Sie teilt nicht in bestimmte Kategorien. Sondern geht vom komplexen Ziel aus. Demnach kann man intelligentes Verhalten auch nur rückblickend beurteilen. Ob sich also die Gaspreisbremse nun doch noch als schlau herausstellt, wissen wir erst, wenn sie Geschichte ist.
Gleichzeitig ist es unmöglich, mit Tegmarks Formel Intelligenz absolut festzustellen. Wir müssen uns immer wieder Fragen stellen:
Ist das jetzt ein komplexes Ziel?
Was ist das zugrunde liegende Problem?
Gibt es gar eine Problemhierarchie?
Lässt sich daraus eine Zielhierarchie ableiten?
Wie erkenne ich, das ein komplexes Ziel erreicht worden ist?
Und wann ist dafür der richtige Zeitpunkt (siehe 911)?
Das könnte zu der Erkenntnis führen, dass sich viele Dinge gar nicht mehr einschätzen lassen. Und zu der Schlussfolgerung, dass wir deshalb lieber gleich von absoluten Lösungen Abstand nehmen.
Einmal schlau, immer schlau? Vorbei.
Unweigerlich erkennen wir außerdem: Intelligenz ist nicht an eine Person gebunden. Und deswegen ist Tegmarks Sichtweise zeitgemäß.
Es entkoppelt auch vom Gedanken „einmal schlau, immer schlau“. Ein Elon Musk gilt als wahnsinnig intelligent. Aber ist er auch noch intelligent, wenn er Twitter kauft? Kann er damit (s)ein komplexes Ziel erreichen?
Unsere politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lösungen sind auch deshalb so anfällig, weil sie Unsicherheit ausblenden und oft mehr auf Glaubensbekenntnissen denn auf Fakten basieren.
Wir kommen zu Lösungen aufgrund bestimmter und regelmäßig verkürzter Annahmen. Das ist wie mit dem X- und Y-Menschen von Douglas McGregor (im Kasten verlinkt): Wir glauben das eine ODER andere, nicht aber – wie es schlau wäre – beides.
Um mehr Schlauheit zu ermöglichen, braucht es aus meiner Sicht Folgendes:
Wir müssen Komplexität als Komplexität anerkennen. Das bedeutet, gar nicht erst nach linearen Lösungen zu suchen.
Wir müssen akzeptieren, dass jede Problemlösung neue Probleme bringt.
Wir sollten die Lösungskompetenz nicht in einer Person zu suchen. Das bedeutet, Entscheidungsstrukturen grundlegend zu ändern.
Wir sollten nicht von der Vergangenheit auf die Zukunft zu schließen – und damit auch die Grenzen der Statistik sehen.
Wir sollten in vielen Feldern Greenfield- statt Brownfield-Lösungen zu suchen. Das heißt, das bisherige öfter ganz neu denken statt der ganzen Flickschusterei.
Freue mich auf Kommentare und auf kräftiges Teilen. Danke!
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Die 5 Gesetze menschlicher Dummheit beschrieb ich hier im Blog und auch per Video.
Über Douglas McGregor habe ich 2018 in “Ein Tanker ist kein Schnellboot” geschrieben.
Dass Intelligenz überschätzt wird behauptete ich 2017 und nutzte damals Trump.
Mein aktuelles Video beschäftigt sich mit der Frage, warum Teams oft einfach nicht performen “Hilfe, mein Team performt nicht”.
Inspiriert hat mich diese Woche
Ein Interview mit der Headhunterin und Unternehmerin Constanze Buchheim von iPotentials im “Team A. Der ehrliche Podcast”. Sein beschreibt damit Ich-Entwicklung von Führungskräften, ohne den Begriff zu nennen. Könnt ihr überall hören, beispielsweise bei Spotify.
Offene Termine
Am 28.11. spreche ich abends beim DVCT e.V. in Hamburg über die Psychologie der Veränderung. Nur für Mitglieder, aber ihr könnt ja mal bei denen anfragen ;-)
Am 1.12. halte ich auf dem internationalen Management-3.0 -Kongress eine Keynote (Hybrid): “Connecting Dots”. Hier könnt ihr euch anmelden.
Unsere Summer School in Kattendorf hat dieses Mal den Schwerpunkt New Organizing und richtet sich an Fortgeschrittene, hier Termine und Buchung
Jetzt schon buchen für Nextlevelcoaching im Oktober 2023 - wir haben nur 12 Plätze frei.
Alle Teamworks-Termine.
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Mein Beitrag über die Die 5 Gesetze menschlicher Dummheit nach Cipolla
Über das X- und Y-Modell von Douglas McGregor in zwei Texten von 2014 im eigenen Blog, 1.) über New Work und 2.) über Organisieren nach Nils Pfläging
Über Intelligenz schrieb ich auch in meinem Blog im Jahr 2012 (eher aus Sicht einer Mutter)
Inspiriert hat mich diese Woche
Ein wunderbares tiefgründiges und wie ich finde schlaues Interview in Team A “Der ehrliche Podcast” über Führung mit der Unternehmerin und Headhunterin Constanze Buchheim. Für mich ein Lehrstück über das, woran sich Ich-Entwicklung zeigt, z.B. hier bei Spotify.
Termine
Unsere Summer School in Kattendorf hat dieses Mal den Schwerpunkt New Organizing und richtet sich an Fortgeschrittene, hier Termine und Buchung
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Am 1.12. halte ich auf dem internationalen Management-3.0 -Kongress eine Keynote (Hybrid): “Connecting Dots”. Hier könnt ihr euch anmelden.
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Foto: Pexels.com - Polina Zimmermann