Vorsicht, explosive Unterschiede!
Newsletter 012 über Vielfalt, Einfalt und psychologische Diversity
Ich liebe Unterschiede. Aus ihnen kann so viel Neues entstehen. Wie langweilig wäre das Leben, wenn alle gleich denken, fühlen und handeln würden. Aber manchmal gibt es einfach zu viele Unterschiede. Diese produzieren einen unfassbar hohen Redebedarf - und reichlich Frust.
Im besten Fall bemühen sich alle. Aber am Ende kommt man doch nicht weiter. Die grundlegenden Annahmen über Gott und die Welt sind einfach zu verschieden. Wir sehen das dauernd in der Politik und täglich in unserem Umfeld.
Vielfalt ergibt sich aus Unterschieden.
Vielfalt ergibt sich aus Unterschieden. Mir gefällt unterschiedsmotivierte Vielfalt, aber sie hat eben Grenzen. Dann nämlich, wenn sie dazu führt, dass man sich selbst und eine Idee zurücksteckt, ja sich zurück entwickelt, eine Stärken bremst. Da entstehen dann faule Kompromisse um des lieben Frieden willens.
Der Konflikt kann immer ein Anfang sein, Geburt. Jede neue Idee beginnt damit, dass andere sich über sie (und die Urheberin) aufregen. Vielfalt liefert Konfliktpotenzial, und wir brauchen Konflikte dringend. Nur dadurch lösen wir künftige Probleme. Deshalb ist das, was ich jetzt sage ein Grenzgang.
Manche Unterschiede sind einfach nur Energieräuber und Produktivitätskiller.
Manche Unterschiede sind einfach nur Energieräuber und Produktivitätskiller. Und manche Konflikte gebähren nichts Neues. Sie helfen auch niemand, vor allem auch der (neuen) Sache nicht.
Meine Einstellung dazu hat sich in den letzten Jahren gründlich gewandelt. Der Grund ist, dass ich immer wieder zu optimistisch war. Ich glaubte, dass man sich verstehen könne, wenn man nur wolle. Doch Verstehen ist an sich schon eine Unmöglichkeit. Je mehr man verstehen will, desto mehr versteht man, dass man sich nicht verstehen kann. Deshalb hören viele frühzeitig auf - bis zu dem Punkt an dem sie noch denken, sich zu verstehen. Das ist die Oberfläche.
Man muss das Nicht-Verstehen akzeptieren.
Heute denke ich: Man muss das Nicht-Verstehen akzeptieren. Und die Folge davon kann nur sein, dass man aufhört, um Verstehen zu ringen. Jedenfalls dort, wo das, woran man glaubt, noch keine Chance hat, sich durchzusetzen. Ich betone noch. Es ist alles immer eine Frage der Zeit. Und die ist nicht nur chronologisch. Der Zeitgott Kairos betont die Gelegenheit, die man beim Schopf packen müsse.
Unterschiedliche Denkstile sind wie Straßen, die sich nie kreuzen
Psychologische Diversität ist ein noch recht junger Begriff. Er besagt, dass es unterschiedliche Persönlichkeitsmerkmale in Teams geben sollte, damit diese durch ihre Unterschiedlichkeit gute Ergebnisse erzeugen.
Es geht hier also nicht um Geschlecht, Ethnie, sexuelle Orientierung. Die sind aus meiner Sicht Nichts gegen die Unterschiede in der Logik des Denkens, Fühlens und Handelns und grundlegenden moralischen Annahmen wie sie Jonathan Haidt in seinen Moral Foundations untersucht hat. Unterschiedliche Denkstile und unterschiedliche Grundüberzeugungen sind wie Straßen, die sich niemals kreuzen. Aber auch Eigenschaften trennen.
Es gibt einige Merkmale, bei denen eine psychologische Unterschiedlichkeit besonders verheerend ist:
Unterschiedlicher Leistungswillen ist eine frustrierende Herausforderung, wenn gegenseitige Abhängigkeit beim Ergebnis besteht.
Ein stark variierendes Intelligenzlevel erzeugt nicht nur positive Reibung. Der „Dumme erkennt den Klugen nicht“, das ist leider ebenso wahr wie die Neigung zur Überschätzung eigener Intelligenz (wie auch Expertise).
Unterschiedliche Offenheit für neue Erfahrungen: Wenn die einen immer wieder nach neuen Ansätzen forschen und Komplexes zu durchdringen suchen, die anderen aber lieber beim Alten bleiben und abwehrend auf jede Abweichung reagieren, ist das zermürbend - und nicht fruchtbar.
Die Unterschiede zeigen sich vor allem in Verhalten und dessen Bewertung: Eine Klientin erledigte ihre Arbeit im neuen Job viel schneller als die anderen. Der Vorgesetzte freute sich nicht darüber, sondern mobbte. Im Zweifel deklinieren sich die Leistungsfähigeren, Offeneren wie auch die Klügeren abwärts. Vor allem, wenn die Führungskraft keinen Raum und Rahmen gibt, in dem psychologische Unterschiedlichkeit produktiv werden kann.
Denn in manchen organisatorischen Umfeldern geht es mehr um Cultural Fit als um Wertschöpfung. Das wahre Ziel ist der Selbsterhalt der Gruppe inklusive ihrer Normen, die sich in der jeweiligen Organisationskultur ausbilden und verfestigen konnten.
Sprachunterschiede jenseits der Landessprache
Ein weiterer Aspekt kommt bei den im agilen Kontext üblichen crossfunktionalen Teams hinzu sowie in transdisziplinären und multiprofessionellen Gruppen: Alle sprechen unterschiedliche Sprachen – und damit meine ich nicht die Landessprache. Was ein BWLer unter Prozess versteht, ist nicht dasselbe, was ein Ingenieur damit assoziiert.
Da braucht es gar keine zusätzlichen Persönlichkeitsunterschiede mehr: Verständigung fällt allein schon durch die verschiedenen professionellen Welten schwer. Das ist überbrückbar – setzt aber eben einen erheblichen Kommunikationsaufwand voraus, den viele nicht zu leisten bereit sind, wenn sie „cross“ und „multi“ fordern. Der Grund: Sie erkennen die Notwendigkeit und damit das eigentliche Problem nicht mal.
Bitte keine Einfalt
Wenn Sie jetzt denken, dies sei Plädoyer dafür, gleichförmige Teams zu bauen – im Gegenteil. Einst fragte ich eine sehr homogene Abteilung aus sieben Psychologen, an welchem Business sie sich denn bei der agilen Transformation ihres Bereichs orientierten - also warum sie das machten. Man hatte bis dahin einfach nur jede Menge Papier erzeugt. Aber für was und wen?
Schweigen im Walde. Das sagt nun auch wieder etwas: Wenn divers vielfältig ist, ist das Gegenteil manchmal eben einfältig. Ein BWLer dazwischen wäre vermutlich hilfreich gewesen. Nein, Unterschiedlichkeit erhöht die Zahl möglicher Perspektiven, man braucht sie definitiv.
Doch es muss etwas dazu kommen. Die geteilte Vorstellung von Problem, Ziel und dem Einsatz zur Zielerreichung. Je wichtiger mir etwas ist, desto eher bin ich bereit, mich mit den Macken meiner Kollegen zu arrangieren. Die eigene Persönlichkeit tritt zurück. Wenn wir gemeinsam am Ende etwas Tolles auf den Weg bringen, lohnt sich auch der ein oder andere verbale Ringkampf. Dann bemühen wir uns auch die Sprache des anderen zu verstehen.
Aber nur dann.
Beitragsfoto: Ivan Tamas - Pixabay
Weiterführende Beiträge
Über die Moral Foundations schrieb ich im Zusammenhang mit dem Schwarzen Sack und dem Meer Exposure Effekt bei Teamworks.
Mehr über die Theorie von Jonathan Haidt findet sich auf dieser Seite.
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Was mir diese Woche (wieder) aufgefallen ist
Es ist der Körper, der den Unterschied macht. Wenn wir das Meer erleben oder die Natur, ist alles andere nicht mehr wichtig. Das erklärt, warum Menschen in Großstädten oft so hyperaktiv sind. Und warum in meinen Kursen und Ausbildungen nicht nur der Kopf eine Rolle spielt.Agilsten und New Yorker verkaufen One-Fits-all, Methoden und Systeme. Sie helfen nicht bei der Entwicklung, auch wenn sie etwas Ausbildung nennen.
Es gibt zu viele Bücher, in denen einfach NICHTS oder NICHTS Neues auf vielen Seiten steht. Diese Erkenntnis hatte ich nach der Lektüre von 7 Büchern zum Thema News Work.Nichts wirkt viel in Verpackung: Manche neuen Themen werden oft vor allem gut vermarktet, aber drin ist nicht selten…. auch Nichts.
Führen ist zu oft Verführen: Menschen suchen nach nach der Wahrheit in anderen und folgen teils dubiosen Anbietern.