Dies ist meine 100. Ausgabe. Danke, dass du mir treu geblieben bist. Und danke, dass du einer von 130 warst, die im Monat August dazu gekommen sind, um diese Zeit der Veränderung weiterzudenken. Wir rocken das!
Von der Gier zum Wir: Wie kann das gelingen?
Heute erhältst du einen aktualisierten Text von mir. Ich habe ihn 2018 geschrieben. In dem Jahr habe ich auf dem Symposium “Dienende Führung: Von der Gier zum Wir” einen Vortrag gehalten. Es wurde mehr als nur ein Arbeitsausflug.
In Heidelberg traf ich Gunter Dueck das erste Mal persönlich. Ich begegnete auch der damaligen Siemens-, Bosch- und Fujitsu-Managerin Vera Schneevoigt.
Es fühlte sich nach Aufbruch an. Es schien damals, als könne das durchgeplante Ingenieurs-Deutschland doch noch systemisches Denken lernen. Sechs Jahre später hat sich in weiten Kreisen Hoffnungslosigkeit breit gemacht.
Zeit, mal wieder einen Kontrast zu setzen, denn so geht es nicht weiter.
Mein Text ist ein Appetizer für das Interview mit Vera, das aufgrund der Sperrfrist für ihr Buch “Wir können Zukunft" außerplanmäßig am Dienstag, dem 10.9.2022 um 7 Uhr an dieser Stelle erscheint. Los geht´s.
Größer als ich selbst
Die Idee des Servant Leadership geht auf Robert K. Greenleaf zurück, der 1970 eine Schrift zu diesem Thema verfasste. Greenleaf, langjähriger Top-Manager von AT&T, war von Hermann Hesses Morgenlandfahrt tief beeindruckt.
Darin erkennt der Erzähler, der mit einer Gruppe zu einer Reise mit unklarem Ziel aufbricht, das wahre Ziel ihres Vorhabens. Anders als von den Reisenden gedacht, liegt es nicht im äußeren Erfolg. Es geht auch nicht um einem bestimmten Ort. Nein, es ist nicht mal ein gemeinsames Ziel…
Das wahre Ziel liegt in der inneren Entwicklung der Reisenden selbst. In der Erkenntnis, was jeder Einzelne für die Gemeinschaft beitragen kann. Und dass dieser Beitrag größer ist als man selbst. Es geht um das Suchen, nicht das Finden. Dafür muss die Vision des im Roman Führenden irgendwie im Nebel bleiben.
Die Erkenntnis des Sinns: sie kommt oft mit Verzögerung. Und sie führt stets über eine intensive Reflexion. Dazu muss man wie Hesse und Greenleaf daran glauben, dass Menschen einen natürlichen Drang haben, über sich selbst hinauszuwachsen und der Gesellschaft zu dienen.
Für Greenleaf war Servant Leadership eine „Philosophie und eine Praxis, die das Leben von Menschen bereichert, bessere Organisationen aufbaut und letztendlich eine gerechtere und fürsorglichere Welt schafft“.
Es geht also um das Wohl der Gesellschaft, nicht nur den Erfolg des Unternehmens. Was heißt das?
1. Erkennen, was gut ist
Hast du “La Casa de Papel” gesehen, das “Haus des Geldes”? Wahrscheinlich hast du dir wie ich gewünscht, dass die Gangster davonkommen. Obwohl der “Professor”, der intellektuelle Kopf der Bande, ein ziemlicher Egomane ist, mögen wir ihn. Selbst “Berlin”, der Macher, der gut und böse nicht unterscheiden kann, weckt Sympathien.
Dienende Führung ist das aber nicht. In der Netflix-Serie dienen die Gauner nur sich selbst, auch wenn sie niemand schaden wollen. Nicht nur durch die ethische Brille eines Kant ist das nicht kompatibel. Auch mit John Rawls Gerechtigkeitsethik können wir keinen Haken machen…
Servant Leadership braucht Ethik. Das Gute versteckt sich nicht in Sympathie.
2. Wert für andere
Was schafft einen Wert? Was ist überhaupt Wert - und für wen? Das kann nicht rein auf Gewinnmaximierung bezogen sein. Und auch nicht auf Schadensbegrenzung wie in La Casa de Papel.
Denn vergessen wir die Zukunft, vergessen wir die anderen.
Der Dieselskandal verdeutlicht uns, dass Führung nie egoistisch - siehe 1 - und kurzfristig auf solche Fragen antworten darf. Er ist ein Auftrag an die Führungsentwicklung der Zukunft.
Wert für andere braucht stets den Zukunftsblick. Er kann nicht in Zukunftsblindheit geschaffen werden.
3. Entwicklung zuerst
Ein Servant Leader fördert langfristige Ziele. Auch in dieser Hinsicht ist “Haus des Geldes” ein Fail.
Es geht darum, Mitarbeitenden eine Grundlage zu ihrer Entfaltung zu geben. Es geht nicht darum, den Feelgood Manager zu spielen, sondern eine Umgebung zu schaffen, in der Wert und Menschen wachsen können.
Entwicklung ist für jeden anders. Dazu braucht es kein Abholen, sondern nur ein Bereitstellen.
4. Verantwortung ist Ehre
Die spanische Supermarktkette Mercadona verzichtet auf elektronische Kassen, weil sie die Arbeitsplätze ihrer Verkäufer erhalten möchte.
Dienende Führung ist eine Ehre, die mit Verantwortung einhergeht. Entscheidungen müssen sortiert, priorisiert und getroffen werden. Und dass entschieden wurde, erkennt man daran, dass die Entscheidung Konsequenzen hat. Und nie alle glücklich machen kann. So wie es auch gar nicht um Glück gehen darf.
Da kann es auch mal richtig sein, Mitarbeitende zu entlassen. Und da darf es auch kein Rezept geben. Mit Ethik braucht es das nicht.
5. Selbstreflexion
Es gibt eine Menge Menschen aus der Boomer-Generation, die gerade abwarten, dass der Kelch der Veränderung an ihnen vorüber geht. “Das schaffen wir auch noch”, sagen sie und sitzen “das Neue” aus.
Wie der Staatsanwalt, der sich bis zur Frühverrentung weigerte, aufs Fax zu verzichten. Zufällig jemand aus meinem familiären Umfeld.
Das ist ein Verständnis von Dienen als Pflichterfüllung, das mit Führung nichts zu tun hat. Denn was hier völlig fehlt, ist Selbstreflexion - auch hinsichtlich der eigenen Wirkung auf die Zukunft der Anderen.
Servant Leader erkennen die systemischen Grenzen und wissen, dass Veränderung immer paradox ist. Das heißt: Was wertvoll ist, muss sich verändern, damit es erhalten bleibt.
6. Metamoderne Macht
Luhmann versteht Macht als Drohung mit negativen Sanktionen. Hannah Arendt unterscheidet Macht und Gewalt.
In jedem Fall ist Macht wichtig: Als Fähigkeit, Veränderungen im System zu bewirken - und nicht als Eigenschaft einer Person. Macht kann das System bewegen und verändern.
In der Führungsrolle verlangt sie die Unterscheidung von Gut und Böse; im Wissen, dass das Gute schlecht und das Schlechte gut sein kann. Sie ist metamodern in dem Sinne, dass sie von Vereinseitigung (gut/schlecht) und Relativierung (es gibt keine Wahrheit) abrückt.
Eine positive Machtdefinition erfordert ein Bewusstsein für den Einfluss zugunsten von etwas Größerem und dem übergeordneten Gutem, das immer wieder neu ausgehandelt werden muss.
7. Hindernisse aus dem Weg räumen
Welche Steine gilt es auszuräumen - und an welchen kann man wachsen? Das kann die unmittelbare Perspektive auf das Team beinhalten, aber an der Spitze eines Unternehmens auch die auf die Existenzsicherung in Zukunft. Servant Leadership zielt darauf ab, eine Entscheiderin überflüssig zu machen, weil die Menschen sich selbst orientieren können.
Eigentlich wäre “La Casa de papel” ein gutes Beispiel, nur dass hier das Schlechte gut ist.
Bis Dienstag, zum Gespräch mit Vera,
eure Svenja
Weiter lesen
Vera Schneevoigt: Wir können Zukunft. Haufe, erscheint 10.9.24
Hans Rudi Fischer / Heinz K. Stahl et. al (2019): Dienende Führung: Zu einer neuen Balance zwischen ICH und WIR. Erich Schmidt Verlag
Vom Denken in die Praxis
“Psychologie der Veränderung” am 23.-25.9. in Hamburg hat noch freie Plätze. Ideal auch im Bundle mit “Systemisch führen” im Oktober, das ich mit Carmen Reinhardt entwickelt habe. Schreib mich gerne an.
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