Vom Nutzen des Kahlschlags
Newsletter 029: Radikale Schritte und die Chance eines bösen Erwachens
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Das Silicon Valley ist im Kahlschlagmodus. Kein großes amerikanisches Tech-Unternehmen, das nicht gerade einen beträchtlichen Teil der Belegschaft entlassen hat. Hier ist die Welle noch nicht angekommen, doch sagen mir Kollegen aus der Personalberatung: Da baut sich was auf.
Aus volkswirtschaftlicher Sicht durchaus nützlich: Wenn sich mehr verfügbare Arbeitskräfte auf dem Arbeitsmarkt tummeln, schließt das die Fachkräftelücke. Es wirkt der Lohn-Preis-Spirale entgegen und damit der Inflation. Wenn da nicht all die persönlichen Schicksale und die in den letzten Jahren gegebenen Sinnversprechen wären.
Rauswerfen hat mit Augenhöhe nichts zu tun. Es zeigt klar, wie die Machtverhältnisse wirklich sind.
Manche denken über diese Themen weniger nach. Elon Musk hat nach der Twitter-Übernahme nicht gezaudert und ein Drittel der Belegschaft entlassen - per Mail. Derselbe Musk, der Tesla groß gemacht hat und die Ukraine binnen Tagen mit Starlink-Satelliten ausstatten konnte
Möglicherweise traf er diesmal keine gute unternehmerische Entscheidung. Denn schon kurze Zeit später stellte er fest, dass unter den Gekündigten systemrelevante Personen waren. Nachdem wichtige Werbeträger sich verabschiedet haben, steht nun Twitter offenbar mit dem Fuß in der Tür des Insolvenzverwalters.
Ja, die Machtverhältnisse sind klar. Aber wenn sie zum krassen Kahlschlag führen kann Bodenerosion entstehen. Der Boden wird also nachhaltig zerstört, es kann nichts Neues mehr wachsen… Das mit dem Kahlschlag ist so eine Sache… der Dosierung, des Zeitpunkts und der Vorgehensweise.
Nebenbei gilt: Ein eimal erfolgreicher Unternehmer ist eben nicht ein immer erfolgreicher Unternehmer.
Domino-Effekte vordenken
Kahlschläge sind aber durchaus sinnvoll. Nämlich dann, wenn kein gesundes Leben mehr möglich ist. Das sollte jeder, der mit Augenhöhe und dem Gleichheitsgedanken im Kopf behalten. Führen ist leicht in guten Zeiten, aber wehe wenn es eng wird. Dann zeigt sich im “Führen und Folgen” (siehe auch mein Video, Link im Kasten) eben auch der Nutzen und Sinn von Positionsmacht.
Die unbekannten Unbekannten
Wer Kahlschläge plant, sollte die Faktoren für eine mögliche Bodenerosion im Blick haben. Darunter sind oft “unknown Unknowns”. Diese unbekannte Unbekannten betreffen alles, für das wir blind sind. Auch in Beug auf uns selbst. In der Gruppendynamik sind unknown Unknowns auch als blinder Fleck bekannt.
Man kann sich aber Fragen stellen: Wer wird nach so einer Aktion noch als Talent an Bord kommen? Welche Auswirkungen hat es auf Kundenbeziehungen? Im Twitter-Fall war der Kahlschlag, so wie es im Moment aussieht, offenbar zu kurz gedacht.
Was eben nicht generell gegen Kahlschlag spricht, wenn man mit dem vorhandenen “Bestand” nicht weiterkommt. Denn nicht jeder lässt sich bewegen, um an meine Kolumne von letzter Woche anzuknüpfen. Es gibt auch einen erklecklichen Anteil an Menschen, die systembedingt in dauernder Synapsenstarre verharrt bleiben - und nun, nach 10, 20 Jahren nicht mehr locker lassen können. Die Starre war mal sinnvoll, denn so schaffte man Arbeitskräfte, die sich sich bis ins letzte Detail gekniet und auch im langweiligsten Zeug ihr persönliches Why gefunden haben.
Nicht jeder lässt sich bewegen, einige sind Synapsen-erstarrt
Oft werden mir in der Supervision ähnliche Fälle geschildert. Eine Organisation muss sich ändern, um zu überleben. Die Leute kommen nicht mit und machen nicht mit.
Die störrischen Kinderlein hören einfach nicht
Aus Angst vor dem Fachkräftemangel verwandelt sich manch Leitungsperson dann nicht etwa in einen Musk, sondern in ein fürsorgliches Elternteil, welcher an die störrischen Kinderlein appelliert. Da geht es dann um die Bereitschaft, den 20 Jahre-Gap im IT-Wissen aufzuholen. Sich und sein Know-how grundsätzlich in Frage zu stellen. Plötzlich konzeptionell zu denken. Gar kreativ.
Nein, dann lieber Hüter des vor 100 Jahren (ich übertreibe) entwickelten Produktes bleiben. Oder an der DVD-Lösung festhalten, bis das letzte Abspielgerät im Museum verschwunden ist. Das Fax verteidigen und auf die Agilisierung und Digitalisierung schimpfen…
Und dann blickt ein Veränderungs-Bewegter in die leeren Gesichter der Unbewegten, die eigentlich immer schon alles gewusst und richtig gemacht haben.
„Wieso fragen die nichts?“
Das fragte mich einer unserer Ausbildungsteilnehmer, ein freundlicher, wohlwollender Mensch. Keinerlei Nuegierde auf der gegenüberliegenden Seite.
Manche Gaps sind einfach zu groß, als das sie überbrückt werden könnten.
Man muss auch nicht gleich zu den schärfsten Mitteln greifen, das Hire & Fire geht bei uns rechtlich sowieso nicht so einfach. Aber man kann es Veränderungsverweigerern ungemütlich machen. Das geht beispielsweise so:
Klar sagen, was erwartet wird. Und sich klar sein, dass man selbst eine Machtposition hat und nutzen darf.
Bisherige Strukturen aufbrechen, vor allem Beziehungsstrukturen, etwa Cliquen.
Neue Menschen einstellen, die den anderen “Wind” machen. 10-20 Prozent reichen.
Kleinere und neue Teams schneiden.
In neue Räume setzen.
Ver-setzen.
Erzwungene Persönlichkeitsentwicklung
Oft verwechseln Mitarbeiter ihre Arbeit mit einem Besitz. Sie entwickeln Anspruchshaltungen. Sie sehen nicht (mehr), dass sie Geld dafür bekommen, eine Rolle und Aufträge zu erfüllen. Es ist und bleibt ein Tauschgeschäft, die Romantisierung durch Sinnversprechen funktioniert nur in guten Zeiten. Das Unternehmen will und muss erfolgreich sein.
Ich bin der Überzeugung, dass Menschen sich viel leichter wandeln können als viele denken. Doch nicht, wenn sie ihre Synapsen jahrelang nur in die eine Richtung trainiert haben. Doch nicht, wenn sie das Lernen nie gelernt haben. Und auch nicht, wenn man es mit Maßnahmen in der bequemen Komfortzone probiert.
Manchmal muss es ein kleiner oder größerer Kahlschlag sein. Das stärkt im Übrigen auch die Resilienz. Kahlschläge bergen eine Chance auf Entwicklung, mit der die Komfortzone niemals dienen kann.
Denn wer überraschend einen Bruch erlebt, wird unfreiwillig einen Weg gehen, den er oder sie sonst nicht mal gesehen hätte. Und für die Entwicklung ist das gut.
Inspiration und zum Weitersehen
Der Text als Audio
Mein Video “Führen und Folgen” greift das Thema etwas erklärender auf. Hier könnt ihr es ab 11 Uhr sehen.
Inspiriert hat mich diese Woche unsere tolle Gruppe 13 bei TeamworksPLUS, die in Modul 4 einen Riesen-Entwicklungsschritt gemacht haben. Ihr seid großartig!
Offene Termine
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Unsere Ausbildungsgruppe TeamworksPLUS 14 in Präsenz startet am 24.11.22. Wir haben noch einen Platz. Und bringen in Bewegung.
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Foto von Nathan Cowley: https://www.pexels.com/de-de/foto/frau-die-barenkorper-des-wassers-ausubt-1300526/
Beitragsfoto: Nuthawut Somsuk - istock.com