Seid mutig
Newsletter 024: Elefanten im Raum * Gruppen und ihre Dynamik * Feigheit, Faulheit und Fixiertheit
Newsletter Nr. 024: Elefanten im Raum * Gruppen und ihre Dynamik *Feigheit, Faulheit und Fixiertheit
Nicht nur jedem Anfang liegt ein Zauber inne. Auch dem Ende. Ich bin verzaubert. Fünf Tage mit einer bunt zusammengewürfelten Gruppe liegen hinter mir, die wir auf dem Buschhof Kattendorf in einem eigenen Haus verbracht haben.
Bei der jährlichen Nextlevel-Masterclass kamen Konzernführungskräfte mit Interimsmanagerinnen und Beratern zusammen. Menschen, die sich sonst nie treffen würden. Es verband sie nur eins: Der Wunsch, in Transformationen noch wirksamer zu sein. Es ging um persönliches Wachstum, Veränderungsresistenzen und den Umgang mit „Elefanten im Raum“.
Zwischen dem ersten und dem fünften Tag vollzog sich allmählich ein kleines Wunder. Gesichtsausdrücke wurden weicher. Menschen fanden zu ihrer Wirkung in der Gruppe und wendeten sich dem „Fremden“ zu. Rückmeldungen bekamen Wir-Gestalt, gleichzeitig wurde “das Ich” stärker. Und am Ende war da ein sonniger Herbsthimmel, verhangen von etwas Trauer – weil wir auseinandergingen.
Der kleine Elefant
Am zweiten Tag wurde ein kleiner Elefant geboren. Unsere Fuckup-Night geriet zum Fuckup. Als ich merkte, dass sich einige der 12 Personen in Übertreibung verloren, als ich das Unwohlsein bei anderen in Bauch und Kehle spürte, sprach ich das nicht an. So nährte ich den Elefanten.
Als wir ihn am nächsten Tag in den Raum stellten und von allen Seiten betrachteten, konnten wir ihn nicht einfach nur in Luft auflösen. Die Offenheit schaffte sogar neues Vertrauen. Die „Störung“ hatte also eine Art Durchbruchseffekt. So ist es oft.
Es ist nicht einfach, Dinge anzusprechen, wenn man dazu gehören möchte.
Es fordert Mut, Dinge zu sagen, die andere nicht zu sehen scheinen. Ob alle den Elefanten sehen, ist anfangs keineswegs klar.
„Wenn die anderen nichts sagen, ist er vielleicht nicht da“, mögen viele denken.
Denn er ist eben nicht sichtbar wie auf dem Foto - und schon gar nicht beleuchtet wie ebenda. Man spürt ihn nur. Und wir sind nicht mehr besonders gut im Spüren, hören unserem Körper nicht wirklich zu.
Das hat nicht nur Auswirkungen in all den kleinen Gruppen unseres Lebens, sondern auch in der Gesellschaft.
Kein Befehl kann wirken, ohne dass andere ihn ausführen.
Die Gruppe ist eine wenig beachtete Entität. Wir achten lieber auf Individuen; sehen Putins, aber nicht deren Systeme.
Doch kein System entsteht nur aufgrund einer Person. Kein Befehl kann wirken, ohne dass andere ihn ausführen. Machtverhältnisse sind immer personenübergreifend.
Es braucht Folgende und Führende. Nicht mal eine Atombombe kann von einer einzigen Person gezündet werden, soviel ich weiß.
Gruppen haben eine Persönlichkeit, sie assimilieren Eigenschaften von Einzelnen. Deshalb ist die Persönlichkeit einer Gruppe so wichtig. Sie hat einen Takt, einen Rhythmus, ein Herz. Nicht einer, alle bestimmen mit, wie mit Themen umgegangen wird.
Die Gruppe kann autoritärer und toxischer Führung etwas entgegensetzen. Sie hat Macht, viel mehr Macht als wir denken.
Die drei F: Faulheit, Feigheit, Fixierung
Dabei wird Macht oft missverstanden und Einzelnen zugeschrieben. Doch auch Gruppen haben Macht. Sie schrauben sich aber auch ineinander fest, so dass sie zu einer Art Umhang für einzelne Machthaber werden.
Faulheit, Feigheit, Fixierung entstehen schnell und lassen Gruppendynamik erfrieren. Es sind zugleich Mechanismen, die der Entwicklung ihren Zauber nehmen. Fixierung ist dabei die gefährlichste: Fixierung bedeutet, dass man mit einem Thema oder einem Menschen fusioniert ist – oder gar nicht mehr trennen kann. Man kann dann weder sich selbst noch die Dinge von außen betrachten.
Solche Mechanismen gelten auch im Silicon Valley oder im Berline Startup, denn auch im Dunst vermeintlicher Augenhöhe und Gleichheit liegt normativer Druck, bisweilen gar Zwang. Auch dort, wo Emotionen jeden Morgen auf den Tisch kommen, wie in manchen agilen Teams, gibt es das sozial Erwünschte. Und auch dort killen Faulheit, Feigheit und Fixierung die Dynamik.
„Was das mit mir macht“… ist Macht
Da ist etwa der extrovertierte agile Coach, der die anderen in eine bestimmte Richtung treibt. Oder die angeblich selbstbestimmten Teammitglieder, die immer sagen, was etwas mit ihnen „macht“ – und demonstrieren damit ihre Macht.
Autokratische Systeme fördern vor allem Fixierung - durch spirituell-mythische und damit komplett unlogische und irrationale Gedanken (was unsere Medien bei Putin lange völlig verkannten). Ihre hassen nichts mehr als selbstorganisierte Gruppen, die Sinn und Zweck in gemeinsamen Aktionen suchen. Deshalb zerstören sie jede freie Gruppenbildung im Keim.
Es gibt keine ominöse „Teamuhr“, die gestellt werden kann.
Gruppenprozesse sind zauberhaft – aber eben nicht planbar. Es gibt keine ominöse „Teamuhr“, die gestellt werden kann und dann läuft es im gewünschten Sinn. Die für die Arbeit mit Gruppen notwendige Prozesskompetenz zeigt sich daran, dies gar nicht erst anzunehmen. Und: Sich selbst einzubeziehen – als größte Intervention. Denn das, was ich sage, tue und verkörpere, wirkt auf die anderen.
Je mehr uns das klar wird, desto mehr können wir Beobachtungen besprechbar machen und konfrontieren. Letzteres ist dabei kein „Herausfordern“, sondern das Ansprechen der Elefanten im Raum.
Es lohnt sich, genauer zu hinzusehen. Mein Tipp: Öfter mal den Ton ausschalten, Kopfhörer auf. Nur wahrnehmen. Was seht ihr? Was wäre das für ein Film? Gelegentliches Stoppen, Freeze, hilft. Und manchmal braucht es eine beobachtende Person, die ausspricht, was alle anderen sich nicht zu sagen trauen.
Foto: Stock - themacx
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Mein Buchtipp für Profis: Mitschwingen und Dazwischengehen: Systemisch-gruppendynamische Prozesskompetenz in Beratung und Training, Carl Auer 2022
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Am 20.10. abends halte ich einen Impulsvortrag auf einer Veranstaltung von Rochus Mummert in Stuttgart. Zielgruppe sind höhere Führungskräfte. Die Keynote hält Katharina Hölzle. Wer eingeladen werden möchte, kann mich gern anschreiben.
Am 1.12. halte ich auf dem internationalen Management-3.0 -Kongress eine Keynote (Hybrid): “Connecting Dots”. Hier könnt ihr euch anmelden.
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