Nichtstun
No. 113: Vom Zauber des Runterfahren - mit Hörtipps für den Jahreswechsel
„Frau Hofert, Sie hatten doch mal über das Nichtstun geschrieben. Aber wo?“ Ich musste passen. Manches vergesse ich selbst. Also googelte ich mich und stieß auf einen Artikel von mir auf Spiegel Online aus dem Jahr 2011.
Die Fleißigen, die Helden der Arbeit, seien manchmal auch die Deppen im Job, erklärt die Hamburger Karriereberaterin Svenja Hofert.
Das ist auch 15 Jahre später noch wahr: Wer sich reinhängt, schafft nicht nur anderen Freiräume, sondern nimmt sich auch die eigenen. Im Hamsterrad zieht niemand Bilanz. Doch das Bilanzziehen hat erhebliche Nebenwirkungen. Es birgt das Risiko, sich selbst zu finden. Am Ende wird man vielleicht noch einer der vielen Coaches und will andere vom beruflichen Joch „befreien“.
Was passiert, wenn alle denken?
... fragte mich kürzlich eine Ausbildungsteilnehmerin. Reflexion berge die Gefahr, zu Erkenntnissen zu kommen – und die könnten nicht immer zugunsten der Organisation ausfallen, für die man gerade arbeitet. So ist es.
Doch genaugenommen ist der Anfang nicht das Denken, sondern das Nichtstun. Das Nichtstun begründet freies Denken. Plötzlich gelangen Gedanken in den Sinn, die nicht der gewohnten Ordnung folgen. Kreatives, freies Denken setzt ein, die erlernte Linearität tritt zurück.
Es kann zu einem inneren Kampf kommen. Ich ertappe mich dabei, wie ich mich schimpfe, wenn der Computer zwei Tage ausbleibt. Es fühlt sich immer noch nach einem Leistungsloch an.
Aber was ist das überhaupt, dieses Nichtstun?
Meistens ist es gar kein wirkliches Nichtstun. Es fehlt nur eins: das gängige Zeitgerüst, das von Chronos, dem römischen Gott der Zeit, bestimmt wird.
Dieser wiederum herrscht über unsere Welt und verdeckt dabei etwas Wesentliches: Wenn ich lese und die Zeit vergesse, tue ich ja etwas. (Ich lese übrigens gerade zum ersten Mal Thomas Manns "Der Zauberberg".) Wenn ich meditiere und dem Vogelgezwitscher lausche, tue ich auch etwas. Wenn ich den Wellen nachschaue, bin ich aktiv. In den Bergen verliere ich mein Zeitgefühl – und bin trotzdem lebendig. Das einzige Ziel: der nächste Schritt.
Und jetzt schreine ich doch noch mal neu über das Nichtstun.
Dieses Jahr hatte ich mehr Zeit als sonst. Weniger Tretmühle, kein Hamsterrad. Zeitweise geriet ich in Versuchung: Muss ich den Markt mit meinen Podcasts füllen? Nein, habe ich entschieden. Ich brauche keine Massenproduktion. Ich konzentriere mich auf die Gespräche, die einen Mehrwert bieten – Gespräche, die mich als Fragende und Mit-Weiterdenkende brauchen. Und die weitgehend unabhängig von Chronos sind, also zeitlos. Warum ich überhaupt über sowas nachdenken konnte?
Seit Mai bin ich keine Geschäftsführerin mehr.
Das hat meine verfügbare Zeit verändert. Ich konnte mich neu sortieren und darüber nachdenken, was in der kommenden Lebensphase wirklich wichtig ist. Was ich von dem vielen, was ich schon gemacht habe weiterführen und den neuen Zeiten anpassen möchte. Und was nicht.
Ob ich mich wie manche meiner Kollegen auf „postkonventionelle“ Kunden konzentrieren sollte. Oder auf alle, die sich entwickeln wollen. Mein Herz sagt: unbedingt letzteres.
Doch wird die Ich-Entwicklung auch in Zukunft einen wichtigen Raum in meinem Portfolio einnehmen. Sie liefert viele wertvolle Einsichten, vor allem auch in Verbindung mit systemischen Denken! Dazu werde ich nächstes Jahr einen ultralangen Podcast mit dem genialen Alexander Leuthold produzieren - erscheint dann am 15.2.2025. Vorher gibt es noch eine Folge mit Prof. Rüdiger Hossiep, der sich nach mehr als 15 Jahren immer noch erinnern konnte, dass ich Saab-Fahrerin (und Fan!) war. Meine 5 meistgehörten Podcasts findet ihr übrigens im Anschluss.
Das Nichtstun brachte die Klarheit zurück.
Ohne große Anstrengung fiel meine Entscheidung: Tiefe beizubehalten, aber auch das Einfache zu wagen. Hier danke ich Autorencoach Dr. Petra Begemann, die mir in einem Buchprojekt hilft, meinen Stil zu behalten und mich dennoch in der Breite besser verständlich zu machen.
Ein junger Videofilmer im Alter meines Sohnes ermutigte mich, auch auf Youtube mehr vorzuwagen: psychologische Analysen von öffentlichen Persönlichkeiten, in denen ich die Wirkung auf andere einbeziehe, also das „umgebende“ System mit einbeziehe. Ich startete mit den Kanzlerkandidaten Scholz und Habeck, am Mittwoch folgt Merz (hier Habeck).
Einfach mal den Ton ausmachen und schauen: Wie wirkt jemand in seiner Rolle? Woran erkennt man diese Wirkung? Mir war klar, dass viele Kommentare sofort in zweiwertiger Logik ausfallen: gut/böse, positiv/negativ, schön/hässlich. Unser Denken folgt Aristoteles' Entweder-oder. Und der Maßstab bleibt so lange der eigene wie ich über den Kontext nicht nachdenke. Und um darüber nachzudenken brauche ich…. Nichtstun!
Wie man es dreht und wendet, Nichtstun ist immer Anfang und Ende zugleich.
Nichtstun beflügelt das Denken.
Einige wissen: Seit Mai bin ich keine Geschäftsführerin von Teamworks mehr, bleibe aber noch drei Jahre Gesellschafterin. Das hat meine verfügbare Zeit verändert. Ich konnte mich neu sortieren und darüber nachdenken, was in meiner nächsten Lebensphase wichtig sein soll.
Ich möchte kein besonders großes Rad drehen, nur zur Zufriedenheit und Erkenntnis beitragen. Den Blick für Wahrnehmung schärfen, ohne Wahrheiten zu verkünden. Den Radius erweitern, Nextlevel eben.
Jemand schrieb mir dieses Jahr:
Mein berufliches Engagement ist zu Ende. Ich bin seit Januar Rentner, genieße die Freiheit der Zeit und der Gedanken und schreibe Ihnen, weil Sie zu den wenigen Menschen gehören, die Einfluss auf mein Leben hatten.(…)
Wow, dachte ich. Das ist so, so viel. Dafür bin ich dankbar.
Ich glaube der gefragte Text findet sich im Buch "Business Slowdown". Ich habe das Kapitel Love it exklusiv für dieses Portal eingesprochen. Nichtstun Plus.
einen schönen Sonntag!
Svenja Hofert
Die Top-5-Podcast-Hitliste 2024
Anbei findet ihr meine meistgehörten Podcasts - falls ihr sie noch nicht kennt. Auf einen Portalen zusammengenommen erreichte der Spitzenreiter über 7.000 Aufrufe/Downloads. Ich freue mich auch sehr über eine Bewertung auf eurem bevorzugten Player.
Ich! Die Kraft des Narzissmus mit Prof. Dr. Mitja Back.
Besonders stark auf Youtube und hier auch der Beitrag mit den meisten Likes. Hören.
Selbstorganisation macht krank mit Prof. Dr. Hannes Zacher.
Besonders stark auf den klasischen Portalen (Apple etc.). Hören.
Hoch- und Höchstbegabung verstehen mit Frauke Niehues.
Besonders stark auf den klasischen Portalen (Apple etc.). Hören.
Narzissten gibt es nicht mit Klaus Eidenschink. Dieser Podcast wäre wahrscheinlich weiter vorn, hätte ich ihn schon über Podigee veröffentlicht. Folgt am Donnerstag, bisher nur bei Substack und Youtube.
Wir brauchen eine Transformation des Lernens. Mit Prof. Dr. Nele Graf. Besonders stark auf den klasischen Portalen, war noch nicht auf Youtube, folgt. Hören.
Weitere Hör-Highlights
Wirklich empfehlenswert finde ich die Produktion “Geteiltes Leid” von der Autorin Olga Herschel und der Produktionsfirma Undone. Es geht um die Verbindung von zweifelhaften Diagnosen zu multipler Persönlichkeit und rituellem Missbrauch. Es zeigt aber auch eins: Wie sich Verschwörungsmythen auch in die Wissenschaft und bis hin zur WHO schleichen können - und wie mächtig bestimmte Persönlichkeiten in Institutionen sind. Findet ihr auf allen Playern
Passend zu Weihnachten der Podcast “Die Geschenkneurose” von “Rätsel des Unbekannten. Einfach richtig gute Prosa - und mehr als Psychologie. Auch überall zu finden, wo es Podcasts gibt.
Achtung, Chronos war Grieche, also noch etwas älter