Lässt sich Zukunft mit Gedanken formen?
Newsletter 020: Manifestation, Hexerei, Slowdown und Speedup
Newsletter 020: Lässt sich Zukunft mit Gedanken formen?
„Ich mach mir meine Welt, wie sie mir gefällt“: Was Astrid Lindgren ihrer Pippi Langstrumpf eingab, könnte man als die Fähigkeit zur Manifestation bezeichnen.
Wikipedia erklärt Manifestation als das Sichtbarwerden und Sichtbarmachen von Dingen, die vorher unsichtbar oder gestaltlos und auch gar nicht existent waren. Man könnte auch sagen, man sorgt mit seinen Gedanken dafür, dass etwas Gestalt annimmt.
Manifestieren ist derzeit ein Trend unter TikTokerinnen und bei Instagram. Es scheint weiblich getragen zu sein, so wie Ziele und OKR eher männlich sind. Aber nein, es sind keine Ziele, die man sich da setzt. Das ist es ja. Manifestation ist eine …moderne Hexerei (und das meine ich positiv). Es geht nicht darum etwas zu erreichen, es geht darum etwas zu erschaffen. Für die, die Rocky Horror noch kennen: At the late night double Feature, Picture Show… Also auch Frankenfurther?
Slowdown vor Speedup
Dabei stelle ich mir Dinge in der Zukunft in meinen Gedanken so fest vor, dass sie real werden. Ich habe mir ein Leben in Spanien manifestiert. Irgendwann war ich an dem Ort, an dem ich sein wollte. Das war ein längerer Prozess. So als würde man ein Bild malen, das immer klarer wird. Oder so als würde man auf einem nebligen Berg wandern, dann verzieht sich der Nebel und es wird immer klarer, wo der Weg langgeht.
Es geht also um Zukunft, die durch unsere Gedanken Gestalt annimmt. Diese Gestalt verändert sich mit unseren Gedanken. Deshalb ist es wichtig zuzulassen, dass Gedanken sich immer wieder verändern. Erst wenn wir das tun, wird Manifestieren möglich, auch in Gruppen. Man kann sich da beispielsweise mit Techniken aus dem Psychodrama inspirieren.
So entsteht eine Brücke zwischen Jetzt und Zukunft. Über die kann man nur gehen, wenn man sie sieht.
Alle meine Vorhaben sind durch Gedanken-Manifestationen entstanden, kein einziges mit smarten Zielen oder mit OKR. Vorausgegangen ist immer eine Phase, in der ich aus der Routine ausgebrochen bin: Slowdown vor Speedup. Im 5. Gang kann man nicht innehalten. Man sieht die Landschaft und die Brücken nicht. Man muss anhalten und aussteigen und bereit sein zu sehen, was man so noch nicht gesehen hat. Es gelingt also nicht mit Scheuklappen. Ich habe ein ganzes Buch darüber geschrieben, Slowdown. Es beschreibt die Vorarbeit.
Er liebt mich
Manche TikTokerinnen meinen, man könne auch „er liebt mich“ herbeimanifestieren. Hier gilt es zwischen Manifestation und Hirngespinst zu unterscheiden. Sage ich als reifere Frau. Heute denke ich, der Tafelritter, den ich mir herbeimanifestiert hätte, wäre es gelungen, hätte an meiner Lebenstafel keinen Platz gehabt. Denn es gilt eine wesentliche Sache zu beachten. Auch Organisationen sollten das tun.
Claus Otto Scharmes Theorie U Modell ist nichts anderes als eine Anleitung zur Manifestation. Sie enthält das entscheidende Element, das „Er liebt mich“ nicht beinhaltet: Die Beschäftigung mit der Gegenwart, das Auffüllen der eigenen Intuition durch das Öffnen des Herzens und Denkens. Nur dadurch wird möglich, dass sich die Zukunft in uns zeigt. Sonst hängen wir weiter in der Vergangenheit – aber halten sie für Gegenwart.
Rote Linien zwischen Psychospiel und Zukunftsmanifestation
Genau hier verläuft auch die rote Linie zwischen gefährlichen Psychospielchen und echter Manifestation von Zukunft. Das gefährliche Psychospielchen ist nahe dran an der Indoktrination.
Die echte Manifestation von Zukunft öffnet einen Zugang zu tiefer Intuition. Einer Intuition, die sich vom bisherigen lösen kann. Die die vergangene Erfahrung als vergangene Erfahrung betrachtet und sich auf das Entdecken neuer Muster einlässt und dadurch die Gegenwart so füllt, dass Zukunft möglich wird. Das ist das, was Peter Kruse in einem sehr wundervollen zukunftsweisenden Videos gesagt hat. Ich verlinke es unten.
Zeit als Schlüssel
Ich halte Zeit für den zentralen Zugang zu allem Neuen. Und ich denke, dass wir längst noch nicht alles über Zeit wissen. Zeit ist mehr als nur eine Abfolge von Sekunden und Minuten. Ihr „Content“ verändert sich, indem wir uns verändern.
Die Zukunft ist somit auch das, was wir uns aus der Vergangenheit als Zukunft vorstellen können. Indem wir uns mit Zukunft beschäftigen, erweitern wir unsere Vorstellungskraft. Ich lese gerade zwei Bücher aus Elon-Musks Buchliste, die sehr unterschiedlich sind. Sie vergrößern meine Vorstellung von Zukunft. Das macht es mir leichter, mir Dinge vorzustellen.
Manche sagen, man müsse sich alles so konkret wie möglich vorstellen. So wie Ziele. Aber das halte ich für falsch, es nimmt ja den Zauber. Das Konkrete macht die Manifestation oft zum Manifest - einer öffentlichen Erklärung wie es werden soll. Hier kann sich Raum nicht ausdehnen.
Vorstellungen bringen Gelegenheiten
Je emotionaler eine Vorstellung, desto eher erkennt man Gelegenheiten, die einen dahin führen.
In meiner langen Vergangenheit als Coach habe ich immer wieder mit Techniken der Manifestation gearbeitet. Ich habe gelernt zu spüren, wer seine Zukunft gestalten wird und wer noch in der Vergangenheit hängt. Denn diese kann einen festhalten wie ein Gefängnis, kann Panzer sein und Schatten werfen.
Kürzlich las ich, dass die Modedesignerin Stella McCartney ihre Rolle darin sieht, das Leben zu leben, dass ihre an Brustkrebs verstorbene Mutter nicht hatte. Sie sieht sich also in einer Art Auftrag. Das kann eine sehr starke Kraft sein, aber eben auch ein Schatten.
Erwachsenwerden ist dann auch die Befreiung von den Aufträgen, die andere uns gegeben haben. Diese Aufträge können eine unbewusste Last sein. Wenn wir das Haus bauen, das unsere Eltern nie hatten – aber dann feststellen, dass es sich nur leer anfühlt, wenn wir darin wohnen und die Scheidung einreichen.
Und so können auch Manifestationen positiv und negativ sein.
Denn so wie sich befreiende und vorwärtstreibende Vorstellungen „festschreiben“ lassen, so ist es auch mit hemmenden, festhaltenden. Der gleiche Mechanismus - die Wiederholung und Ausgestaltung von Gedanken und Gefühlen – kann also positiv und negativ wirken.
Negativ erzeugen manifestierte Gedanken „Chatter“, ein Geschnatter im Kopf. Sie lassen lästige Gedanken wieder kreisen.
Manche Manifestationsfreaks behaupten, dass alle das Leben leben könnten, dass sie leben. Man müsse sich das nur wünschen. Sie ziehen damit Menschen an, die sich selbst suchen. Finden sie sich nicht, fühlen sie sich schuldig. Damit kann man viel Geld verdienen, auf sehr zweifelhafte Weise.
Üben, sich Dinge auszumalen
Sich Dinge so auszumalen, dass sie konkrete Gestalt annehmen, lässt sich üben.
Ebenso wie das Runterfahren, den Slowdown. Was lässt sich entdecken, wenn man einmal einfach irgendwo anhält, ohne Ziel, ohne Plan. Nur um da zu sein. In der einzigen Zeit, die es gleich schon nicht mehr gibt. Der Gegenwart. Aber sie zeigt uns, was ist - und ist die Brücke zu dem, was werden kann.
Weitersehen & mehr
Lassen sich Gedanken formen? Mein Video zum Thema.
Peter Kruse zum Thema Intuition: Hängt für mich eng mit dem Thema zusammen.
Wer Rocky Horror nicht mehr kennt, bekommt hier einen Einblick.
Claus Otto Scharfes hat sein Buch über die “Theorie U” gerade aktualisiert. Mehr Infos findet ihr auf seiner Website.
Die Bücher, die ich aus Elon Musks Buchliste lese sind “Leben 3.0” von. Max Tegmann und Nick Bostroms “Superintelligenz”.
Wie immer eine schöne Anregung, danke Svenja. Einen sehr interessanten Impuls habe ich bei Gert Scobel gefunden, der sich mit Martin Heidegger auseinandersetzt, welcher das wissenschaftliche Rechnen vom kreativen philosophischen Denken unterscheidet. Mag sich kryptisch anhören, ist aber gut erklärt. Während die eine Suchbewegung davon ausgeht, dass es draußen eine objektive zu entdeckende feste Wirklichkeit gibt, die wir möglichst genau beschreiben sollten, um sie zu erfassen und vorherzusehen, besteht die Bewegung des Denken, in der Art wie Heidegger es versteht, eher in einem Manifestieren von neuen Möglichkeitsräumen. Die eine Bewegung beschreibt die angehaltene Wirklichkeit, das Seiende, und die andere, das Sein, den fließenden Prozess. Sich anhand von eigenen Vorstellungen immer wieder in diesem fließenden Prozess auszurichten ist dann das prozesshafte Manifestieren. Interessant ist die Frage der Treiber in uns, die du ja auch ansprichst.
Die Menschenrecht ist ein Beispiel, wie eine abstrakte Manifestation wirkt und neue Rechtsformen entstehen, die wiederum Einfluss auf Millionen von Leben haben.
https://www.youtube.com/watch?v=WYiCfauw1-k&t=1s