Irrtum: Das Problem ist nicht das Problem
Nr. 58 Der Gorilla im Raum und der Affe auf dem Sockel
Nr. 58 Der Gorilla im Raum und der Affe auf dem Sockel
Alle starren auf ihn. Der Gorilla hat hier nichts zu suchen! Aber ist er auch das Problem? Oder nur ein Symptom – und das Problem ein ganz anderes?
Also wirklich liebe Leute: Ein Gorilla, der sich bis in einen Meetingraum in einem Hochhaus durchschlagen kann! Das spricht doch eher für eine Sicherheitslücke bei der Security unten am Empfang – oder für eine Fata Morgana.
Nun habe ich euch meinen „Gag“ verraten, den ich in meiner Keynote auf dem Personalkongress des Verbands Medien und Druck VDM e.V. bei den Heidelberger Druckmaschinen Ende September gehalten habe. Meine Botschaft dort war: Symptome werden zu oft mit Problemen verwechselt. Das eigentliche Problem dagegen bleibt unerkannt - und ungelöst. Wir neigen dazu, uns auf Symptome zu stürzen. Wir erleben das überall.
Die Problem-Symptom-Verwechslung ist menschlich. Svenja Hofert
Menschen neigen dazu, sich dem Einfachen und Eindeutigen zuzuwenden. Zugleich brauchen sie schnelle Belohnung für ihre Mühen. Das Belohnungssystem im Gehirn will das so. Geduld ist eben nicht die Mutter in der Porzellankiste.
In meinem Buch habe ich das mentale Modell „Affe auf dem Sockel“ beschrieben. Gegeben sei ein komplexes Problem, beispielsweise dieses: einem Affen das Sprechen beizubringen, der auf einem Sockel steht. Affen das Sprechen beizubringen ist, Stand heute, ein wahrlich unmögliches Unterfangen. Affen sind ja keine Papageien. Der Sockel dagegen ist leicht modelliert. Deshalb werden Teams sich darauf fokussieren. Es verheißt schnellen Erfolg und damit rasche Anerkennung. Dass die Lösung damit noch schwieriger wird, daran mag zu dem Zeitpunkt keiner denken.
Der Fachkräftemangel ist nicht das Problem, sondern das Symptom für fehlende Strategie
Die Folgen dieser Vorgehensweise sehen wir überall. Etwa: Einige Unternehmen leiden unter einem krassem Fachkräftemangel. Sie denken fehlende Fachkräfte seien das Problem. Also rüsten sie ihr Recruiting auf. Sie investieren viel Geld. Irgendwann besteht die Personalabteilung nur noch aus Recruitern. Diese flitzen geschäftig überall rum und nerven mit ihren Whatsapp-Nachrichten (Scherz am Rande). Es gibt aber niemand mehr, der sich darum kümmert, dass die Leute auch bleiben. Noch nicht mal jemand, der die Fluktuationsrate misst…
Kein Witz, kommt vor. Das Problem ist aber sicher nicht der akute Mangel – es ist die fehlende Strategie.
Der Gorilla im Raum macht uns das Leben leicht. Svenja Hofert
Man denkt, man kümmere sich um ein Problem, aber behandelt Symptome oder auch Scheinprobleme. Man baut also einen Sockel und starrt auf den Gorilla im Raum.
Symptome sind etwas anders gelagert als Scheinprobleme. Scheinprobleme entstehen durch falsche Korrelationen, die entweder auf stümperhaften Datenanalysen beruhen oder im ”Bauch” entstehen.
Da wäre etwa die beliebte Korrelation zwischen Zufriedenheit im Job und wirtschaftlichem Erfolg. Alternativ die in meinen Augen unmöglich nachzuweisende Korrelation zwischen einer bestimmten Art von Führung und Teamerfolg. Dennoch führt man immer wieder die uralte Google-Studie „Aristoteles“ an, die die „psychologische Sicherheit“ in die Unternehmen geweht hat. Der „Affe“ ist in der zwischenmenschlichen Zusammenarbeit ist diese selbst. Psychologische Sicherheit ist nur der Sockel.
Warum wir oberflächliche Scheinprobleme lieben
Die Ursache für die Orientierung an oberflächlichen Scheinproblemen liegt auch an der unsauberen Trennung von Symptom, Funktion und Problem. In vielen Fällen kann es schon weiterhelfen, darüber mal etwas länger nachzudenken.
Trenne Symptom, Funktion und Problem
Das Symptom ist das, was sich zeigt. Es ist der Gorilla. Das worauf alle blicken, letztes Jahr war es der Gaspreis. Im Moment ist es die Flüchtlingskrise. Es ist für alle sichtbar und spürbar - wenn nicht direkt, dann in den Medien. Die Funktion beschreibt den Zweck des Symptoms. Beim Thema Gas war es der Gas-Mangel am Markt in der Marktlogik: zu wenig da, Preise steigen. Bei der aktuellen Flüchtlingskrise ist es die systemische Überlastung der Kommunen: Zu wenig Raum, Geld etc. - Aufschrei.
Das Problem steht aber noch dahinter. Es verbirgt und tarnt sich. Es ist erstmal unklar, was es überhaupt ist. Es braucht umfangreiche Analyse.
Das Problem ist die Hydra
Das Problem kann wie die Hydra viele Köpfe besitzen. Es kann viele Teilprobleme haben, aber auch viele gleichgeordnete Probleme. Es könnte auch eine Problemhierarchie sein.
Dadurch wäre zumindest eine Ordnung möglich. In vielen Fällen liegt das Problem gänzlich anders, als es auf die Schnelle geortet wird. Und dann bleibt immer noch eine Frage, die unbedingt gestellt werden muss: Für wen ist es überhaupt ein Problem?
»Wenn das die Lösung ist, will ich mein Problem wiederhaben!«
Dieser Spruch schmückt Postkarten und ist lustig. Aber er ist auch ernst. Denn die wahren Probleme entstehen, weil jedes System ein anderes Problem hat. Weshalb auch die Lösungen nie allen gefallen können.
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Foto: istock Paul Bradbury
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Mein persönlicher Tipp 1: Ferdinand von Schirach “Terror”. Kein Stück zeigt für mich eindrücklicher, wie unmöglich es ist, “richtig” zu handeln. Auch toll als Hörbuch.
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