„Zum letzten Meeting bist du wieder nicht gekommen. Das macht mich wirklich traurig.“
No. 53: Die Verwechslung von Ursache und Wirkung
Spannungsbasiertes Arbeiten sei der Schlüssel zum Transformationserfolg, las ich neulich in einer Präsentation.
Der Satz erzeugte bei mir eine Spannung, weil er einen Ursache-Wirkungs-Zusammenhang behauptete, für den es überhaupt keine Evidenz gibt.
Eine “Spannung” wird jenseits der Elektrotechnik definiert als etwas, das man mal loswerden muss: eine Emotion, ein Gedanke, eine Idee. Spannungsbasiertes Arbeiten stammt aus dem so genannten Loop-Approach. Das ist ein in der agilen Szene verbreiteter Ansatz.
Nichts gegen diese Idee und die gewaltfreie Kommunikation GFK, die im Konzept verarbeitet ist: Aber wer spannungsbasiertes Arbeiten auf das Podest einer Lösung für fundamentale Transformationsherausforderungen hebt, verniedlicht diese.
Solche Ansätze können, im passenden Kontext platziert und kompetent begleitet, zwar Schwellenangst und Verhaltenshürden senken, lenken beim Versuch einer Verallgemeinerung aber vom Wesentlichen ab. Und das können wir uns gerade nicht leisten, wenn ich mir den Bericht im Economist anschaue, ich zitiere:
Worauf sollten wir jetzt unseren Fokus legen sollten? Befindlichkeiten oder Arbeit?
Die Baustellen sind zahlreich. Und anders als in der letzten Krise fehlen uns jetzt die Leute. Aber auch die Aussichten und Perspektiven. Denn es ist nicht nur das Unternehmen, es geht um gesamtgesellschaftliche Zusammenhänge und das unangenehme Gefühl in Zwischenräumen zu hängen: Nicht neu und alt zugleich.
Fundamentale Fehleinschätzung: Veränderung über Menschen und Verhaltensänderungen
Wenn Mitarbeitende unmotiviert “Quiet Quitten”, hat es oft mehr mit der Sinnlosigkeit der Tätigkeiten zu tun. Und der fehlenden Perspektive, das sich bald was ändert. Das System ist mächtig, und viele fühlen sich ohnmächtig. Also ziehen sie sich ins Privatleben zurück. Darüber zu sprechen, kann entlasten, sollte aber kein Zwang sein. Das ist er in einigen Unternehmen jedoch geworden, etwa im Zuge von Meeting-Check-Ins und einer Überbetonung von Teamarbeit und Augenhöhe.
Ich beobachtete in den vergangenen Jahren eine Idealisierung und teils sogar Ideologisierung angeblich transformativer, meist humanzentrierter Ansätze. Dahinter liegen fundamentale Fehleinschätzung: Transformation über Menschen und Verhaltensänderungen betreiben zu wollen.
Wenn’s im Team klappt, klappt’s auch mit dem Wandel? Schön wär´s
Fraglos fällt menschlich vieles leichter, wenn im Team eine produktive Atmosphäre herrscht. Und natürlich kann Reflexion enorm viel dazu beitragen. Ohne Frage tut es gut, wenn Menschen sich wirksam verständigen können. Aber es wird weder zum Bürokratieabbau beitragen noch Innovation befeuern. Es wird im besten Fall die Effizienz in der Zusammenarbeit erhöhen. Aber nur dann, wenn die Organisation “Team” verstanden hat.
Die verbalen GFK-Polster machen einen vitalen Schlagabtausch mitunter sogar unmöglich. Ich erinnere mich an ein Konzern-Team, das sich immer wieder in Präsenz verabredete, aber über ein Jahr kein einziges Mal wirklich zusammenkam. Alle hatten immer irgendwelche Befindlichkeiten und die Führungskraft führte nicht. Bei näherer Betrachtung hatte das einen simplen Grund: Es war für den Job gar keine Teamarbeit nötig, jeder hatte Spezialistentätigkeiten auszuüben, einschließlich der Führungskraft. Die sanfte Verweigerung war schlicht funktional.
Unter dem Tarnnamen „psychologische Sicherheit“ haben sich einige Unternehmen den Menschen als Ganzes in den Betrieb geholt.
Die deutsche Neigung das Heil auf Buchtiteln zu suchen, macht leider vor der Psychologie nicht halt. Diese wird dann immer wieder heftigst missverstanden, wie die vielfache versuchte Umsetzung von Amy Edmondson´s beliebten Konzept “psychologischer Sicherheit” zeigt. Es wird wie ein Rahmen in Kontexte “gehangen”, in die es wie eine Fälschung wirkt. Der Kern - die Überwindung von Machtdistanz und “Speaking up” - geht unter in kuschelig-partizipativer Atmosphäre.
Als Teil einer neuen Gruppennorm werden so Ansätze zu Ideologie, die ursprünglich angetreten waren, ideologisches Denken aufzubrechen.
Ideologie sind Ideen und Weltbilder, die sich nicht an Evidenz orientieren, sondern die darauf abzielen, aus der jeweiligen Idee und dem Weltbild Machtverhältnisse abzuleiten, zu stabilisieren oder die Argumentation für Veränderung herbeizureden.
Übrigens: Auch auf viele Köpfe verteilte Macht kann die herrschenden Verhältnisse stabilisieren.
Beschäftigungstherapie ohne Erkenntnisgewinn
Nicht jeder traut sich das so deutlich auszusprechen wie eine Ausbildungsteilnehmerin: „Das ist doch Beschäftigungstherapie (gemeint war das spannungsbasierte Arbeiten), bei uns geht´s grad um Arbeitsplätze!“
Ich sehe noch einen anderen Quell für die beschriebenen Entwicklungen: Im Zuge der Agilitäts- und Teamwelle erlebte die Gruppendynamik ein Revival. Das Team wurde als Keimzelle für Lösungen aller Art ausgemacht.
Die reiferen Erkenntnisse früher Gruppendynamiker zogen dagegen ungehört vorbei: Ging es der Gruppendynamik als Bewegung zunächst um Antiautorität und Demokratisierung, verfeinerten sie später die systemischen und systemtheoretischen Antennen. Um sodann weitaus demütiger auf Organisation zu blicken.
Dazu ein Zitat von Rudi Wimmer aus dem Buch „Organisation und Beratung“, 2. Auflage 2012:
„Wir setzten (anfangs) also auf mehr Demokratie, mehr Mitsprache, mehr Mitbestimmung, mehr Partizipation. Das sollte sowohl den Personen als auch den Organisationen helfen… Die Systemtheorie hat uns geholfen das soziale Gefüge „Organisation“ mit seiner Eigendynamik differenzierter zu betrachten.“ (Rudi Wimmer)
Diese differenzierte Betrachtung konnte sich bisher noch nicht in der Breite durchsetzen. Einfache Problem-Lösungsschemata werden nach wie vor bevorzugt. Es gelingt uns nicht, Veränderungsprozesse auszuhalten, die nach effektiven Hebeln suchen. Denn in diesen ginge es vor allem um den Umgang mit Unsicherheit und Widersprüchen. Und das Annehmen der einzig möglichen Wahrheit: “Wir wissen es einfach nicht.”
Artikel als Podcast:
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Weiter: Lesen, Sehen & Hören
Was ist Gruppendynamik - bei mir im Blog
Hilfe mein Mitarbeiter wählt die falsche Partei - bei mir im Blog
Rudolf Wimmer: Organisation und Beratung,. Systemtheoretische Perspektiven für die Praxis. Carl Auer Management, 2. erweiterte Auflage 2012
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Danke für den schönen Beitrag und den weisen Schluss. Im Wissen um unser Unwissen können wir schauen, auf welche Art eine Spannung mit Kommunikation versorgt werden kann. Manchmal hilft reden, manchmal klare Anweisungen und Führung, manchmal Schweigen.
Spannungen können auch als eine Art Entwicklungsbarometer angesehen werden. Da wo Spannung ist, möchte sich etwas, was wir schon fühlen, in Sprache bringen. Welchem Ziel das dient ist erstmal offen.