Ich-Entwicklung: Ein Zugang zu mehr Welt-Verständnis
Newsletter 030: Wie wir die Form verändern und.nicht nur die Farbe
Newsletter 030: Wie wir die Form verändern und.nicht nur die Farbe
Wie verändere ich den Blick so, dass Bewegung in einem System entsteht? Was bringt den inneren Ball wirklich ins Rollen?
Nachdem ich 2015 die Doktorarbeit von Thomas Binder im Internet entdeckt hatte, meldete ich mich zu seiner Ausbildung an.
Seitdem hat mich das Thema Ich-Emtwicklung nicht mehr losgelassen. Nichts hat mir so sehr die Augen geöffnet. Ich kenne mehr als 100 Persönlichkeits-Testverfahren und habe mich für etliche sogar zertifizieren lassen.
Aber nichts war für mich so wertvoll wie dieser Ansatz. Denn er erklärt, warum Bedürfnisse, Kompetenzen und Eigenschaften so unterschiedlich genutzt werden und das Spektrum von Verhaltensweisen im Umgang mit Veränderung so verschieden ist.
In diesem Modell liegt das Verständnis darin begründet, wie wir Menschen nicht nur uns, sondern auch “Welt” sehen - und prägen. Es bietet damit viel mehr als nur einem Blick auf sich selbst.
Entwicklungspotenziale jenseits von Inhalten
Ihre Theorie der Ich-Entwicklung entwickelte die Psychologin Jane Loevinger in mehr als 40 Jahren Forschung. Sie fand Muster in ihren Daten, die darauf hindeuteten, dass persönliche Entwicklung als Prozess abläuft. Loevinger bildete das in Stufen ab, die sich voneinander abgrenzen. Diese heißen E1 bis E9. In jeder dieser Stufen stecken mehrere Entwicklungspotenziale. Forscher, die sich in Loevinger Tradition sehen wie Susanne Cook-Greuter und Terry o´Fallon, differenzierten weiter und fanden eine E 10.
Die Entwicklungspotenziale sind - und hierhin liegt das größte Missverständnis - nicht an bestimmte Inhalte gebunden. Sie sind Struktur, also die Art und Weise wie etwas gesagt wird. Daraus folgt die Einsicht, dass nur gesagt werden kann, was gedacht worden ist (es sei denn es ist Wiederholung, Auswendiglernen). Und dass nur neu gedacht werden kann, was im intuitiven Fühlen einen Platz gefunden hat. Somit ist es dieses Modell anders als andere eben nicht nur rein kognitiv.
Also:
Die bunte Spirale von Spiral Dynamics hat damit nichts zu tun
Wer also das bunte und durch Frederic Laloux bekannt gewordene Spiral Dynamics darüberlegen will, denkt nicht nur zu kurz – er muss im Versuch des Zusammenbringens scheitern.
Entwicklung hat einen Rhytmus
Keine der Stufen kann übersprungen werden, die Entwicklung vollzieht sich also in einer immer gleichen Art und Weise. Dabei gibt es einen Rhythmus, der einen zwischen den Polen der Selbst- und Wir-Orientierung schwingen lässt. Dazwischen liegen Erkenntnisprozesse, die oft als mentaler Kontrast zwischen Wollen und Nicht-Wollen im Körper beginnen, bevor sie im Kopf ankommen.
Die Wahrnehmung und der persönliche Ausdruck verändern sich. Zunächst ist er konkret auf etwas bezogen, wird dann subtiler bis ein Bewusstsein für Systeme entsteht. Praktisch gesagt: Die Festigkeit eigener Annahmen und Überzeugungen lockert sich.
Vielleicht entsteht Metabewusstsein…
Und vielleicht, mit etwas (eigenem) Entwicklungstalent, entsteht irgendwann ein Metabewusstsein. Das ist die Fähigkeit aus vielen anderen Perspektiven auf Systeme zu schauen. Haben Organisationsberater und Coaches das nicht, agieren sie schnell wie übermotivierte Erzieher, die Umfeld und Auftraggeber in Idealformen pressen wollen. Sie überziehen mit Werten, überlagern mit Vorstellungen und schieben ihre eigenen Kontexte in die ihrer Umgebung. Das machen im übrigen auch einige derer, die Systemisch oder Systemtheoretisch agieren wollen - dann, wenn sie das, was sie als ihre Brille wählen, selbst nicht verstanden haben.
Kein Modell ist im Kern so systemisch und konstruktivistisch.
Jede Stufe integriert die jeweils vorherige. Es müssen nicht alle Stufen durchlaufen werden, schon statistisch stagniert Entwicklung an bestimmten Stellen wie im Nadelöhr. Das sind die Stellen, auf die gesamtgesellschaftliche Erziehungsbemühungen hinauslaufen, sie spiegeln Facetten in der „Einstellung“ zu Themen.
Bei Loevinger sind das E4 (etwa 15%), E5 (etwa 38%) und E6 (etwa 30%). Entwicklung darüber hinaus durchläuft der kleine Rest. Ein Minderheitenprogramm also, von dem noch 10% beim relativierenden E7 und 4% bei E8 landen.
Seit 2016 habe ich viel mit der Ich-Entwicklung gearbeitet. In Intervisionsgruppen mit Kollegen und im Coaching. Auch in der Ausbildung integrieren wir einen Blick darauf.
Keine Schubladisierung
Unser Ziel ist es, die Selbstbeobachtungsgabe zu schärfen - nicht das, was ich Schubladisierung nenne. Damit meine ich, dass man etwas länger als für die Dauer einer kurz verbalisierten Wahrnehmung in eine Schublade steckt. Die Gefahr indes ist immer da. Ich merke ja nicht, was ich nicht wahrnehme, sehe, höre, fühle. Es existiert für mich nicht. Ich kann aber sensibilisiert werden, dahin zu schauen. Dafür brauche ich andere. Ich kann es nicht allein.
Mir als Beraterin hilft das Wissen, wie Entwicklung auf den Stufen aussieht. Und dabei ist viel wichtiger als die Zuordnung der “E´s” nach Differenzierung, den Grautönen und fühlbaren „Und-Verbindungen“ zu suchen. Das ist Umgang mit Mehrdeutigkeit, die wir so unbedingt brauchen.
Um bei alldem nicht zu vergessen, dass Entwicklung kein Selbstzweck ist. Menschen auf höheren, so genannten „postkonventionellen“ Stufen sind nicht besser oder glücklicher als andere. Dass sie mehr sehen und wahrnehmen, kann auch zum Problem werden.
So treibt man Dinge zu früh oder nicht voran, wenn man nicht (mehr) an sie glaubt. Nicht überraschend, dass die energetisierenden Weltverbesser oft eher eine konventionelle „E6“ im Sinne der Loevinger. Im Übrigen auch, wenn sie scheinbar postkonventionelle Themen wie “Bewältigung der Klimakrise” und Holistik bedienen. Sie tun es eben ohne allzuviele (andere) Möglichkeiten zu sehen.
Auf höheren Stufen sind Menschen da besser, wo die Mehrdeutigkeit gedeutet und die Lösung (im Sinne einer Entspannung aus Erstarrung) im und trotz Widerspruch gefunden werden kann.
Vertikale und horizontale Entwicklung
Die Ich-Entwicklung ändert nichts an unserem IQ oder den „Big Five“, einer verbreiteten horizontalen und wissenschaftlich akzeptierten Persönlichkeitsbeschreibung. Auf Motive und Bedürfnisse wirken sie eher entspannend, denn diese verlieren ihren Absolutheitsanspruch. Es wird leichter, das eigene Macht- oder Leistungsbedürfnis zu regulieren.
Die Wahrscheinlichkeit ist größer, dass Menschen mit einer hohen „Offenheit für neue Erfahrungen“ mehr Entwicklungstalent entfalten. Das heißt, diese können auch dann, wenn die Persönlichkeit ausgereift ist, mit etwa 25 Jahren, ihre innere Reise leichter weiterreisen. Wenn sie das wollen.
Wir können uns in zwei Richtungen weiter entwickeln.
Horizontal werden wir immer besser in unserem Fach oder lernen neues Verhalten. Vertikal erweitern wir unser Fühlen, Denken und Handeln. Der Radius und die Zahl wahrgenommener und integrierter Aspekte wird größer und fluider. Dies lässt nicht nur neue, sondern auch vielfältigere Perspektiven zu.
In letzter Zeit verbreitet sich das Modell immer weiter, leider auch von Menschen, die es nicht verstanden haben. Die Tiefe und Komplexität wird dabei nicht erkannt und dementsprechend trivialisiert.
So fließen Gedanken daraus immer öfter in Verhaltensmodelle ein. So ist oft von „Katalysatoren“ die Rede, die man im Wandel brauche. Dieser Begriff stammt aus dem Ich-Entwicklungsansatz nach Joiner und Josephs. Meinen Text dazu verlinke ich Kasten.
Doch das Wahrnehmen und Umwandeln von Formen (nicht Inhalten!) kann nur jemand, der diese überhaupt erkennen kann. Dafür braucht es den Bewusstseinsfokus auf viele Aspekte und die Fähigkeit zu erspüren.
Das größte Learning entsteht auch deshalb oft da, wo wir Begriffe und Konzepte zur Seite zu legen und uns auf das konzentrieren, was wir spüren. Modelle helfen uns beim Ordnen und irgendwann auch beim Bewerten. Nicht im Sinne der Notenvergabe. Es geht um Prioritätensetzung und Entscheidung.
Weiterlesen /-informieren
Mein Grundlagen-Artikel zur Ich-Entwicklung aus 2016 beinhaltet auch noch etwas Bildmaterial, hier
Mein Buch “Hört auf zu coachen” war für viele “livechanging”. Jedenfalls bekomme ich das immer wieder zu hören. Auch hier verarbeite ich Ich-Entwicklung.
Die “5 Levels of Leadership Agility” nach Josephs und Joiner in meinem Teamworks-Blog.
Wir integrieren das Modell als mitlaufenden Gedanken (nicht als inhaltliches Training) in TeamworksPLUS, die Summer School, Nextlevel und “Psychologie der Veränderung”. Termine
Thomas Binders neue Website “Zentrum für ich-Entwicklung” hier.
Ein anderer, erweiterter Ansatz aus der Ich-Entwichlung stammt von Terry
O´Fallon. Protagonist für den Ansatz “Stages” in Deutschland ist Heiko Veit. Bei ihm kann man auch Kurs dazu machen.
Mein Video über Chancen und Risiken von Modellen hier
Inspiriert hat mich diese Woche
Meine Inverventionsgruppe, die mich in Münster überhaupt erst dazu gebracht hat, mir das Thema noch mal vorzunehmen. Danke euch :-)
Viele tolle Menschen und reife Gruppen, die mir zeigen, dass sich in den Organisationen eine Menge bewegt. Und dass man innere Bewegung nicht rückgängig machen kann.
Offene Termine
Am 1.12. halte ich auf dem internationalen Management-3.0 -Kongress eine Keynote (Hybrid): “Connecting Dots”. Hier könnt ihr euch anmelden. Und der Kongress hat Rabatt-Codes für meine Community erstellt! Nutzt SVENJAFORWARD für Berlin ticket für 295 EUR statt 795 sowie SVENJAVIRTUAL für 30% discount on virtual ticket.
Am 7.12. bin ich mit dem Thema “Psychologie der Veränderung” auf dem Online-Kongress “Tools 4 you”. Hier könnt ihr euch anmelden.
Fortgeschrittene: Meldet euch jetzt schon für meine Summer School Organisationsentwicklung und die Masterclass Nextlevelcoaching im Herbst an,
Alle Teamworks-Termine.
Unsere Ausbildungsgruppe TeamworksPLUS 14 in Präsenz startet am 24.11.22. Wir haben noch einen Platz. Und bringen in Bewegung.
Fortgeschrittene: Meldet euch jetzt schon für meine Summer School Organisationsentwicklung und die Masterclass Nextlevelcoaching im Herbst an,
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