Newsletter 29: Befreien statt bedrücken
Die „Plank“ ist eine anstrengende und schweißtreibende Übung.
Wer es zwei oder gar drei Minuten schafft, wird früher oder später mit einem straffen Sixpack belohnt. Wir erstarren zu Trainingszwecken. Das ist sportlich sinnvoll. Aber das Entspannen gehört dazu. Wie die Reflection zur Action in der Agilität. Und die Pause zum Arbeiten.
Ein Zuviel an Anspannung deutet dagegen auf ungesunde Belastungen - und Druck. Der sich so chronisch auswirken kann, dass wir ihn nicht mehr merken.
Druck entsteht nicht nur aus Fehlhaltung, sondern auch aus Leistungsdruck. Mache ich das richtig? Bin ich gut genug? Habe ich genug gearbeitet für den Status, den ich erreicht habe?
„Locker lasse“, schimpfte der Thai-Masseur, als ich genau dies vor Schmerzen nicht tat.
Ich beantwortete den Druck mit Gegendruck. Es waren 60 unangenehme Minuten. Er wird mich nicht mehr wiedersehen. Ich hätte früher protestieren müssen. Denn jedes “locker lasse” hatte den gegenteiligen Effekt.
Wir bekommen Druck und lassen nicht locker
Wir bekommen Druck und lassen nicht (mehr) locker. Wir sind dann dauerverspannt. Und das liegt oft auch am schlechten Zusammenspiel mit anderen.
So entsteht keine fließende Bewegung, typisch für das, was wir “Change” nennen und was auch als “Transformation” verkleidet mit Druck einhergeht.
Man wird in eine permanente Plank gezwungen. Diese dient nicht etwa der Gesundheit, sondern schadet ihr. Ob das Unternehmen profitiert? Kurzfristig vielleicht ja, aber auf Dauer?
Da ist kein Flow, keine fließende Bewegung. Nur ein Pressen, ein Krampf und oft ein Kampf. Und viele, die sich dann nach viel Eigenreflexion endlich locker machen, gehen mit ihrem neuen grenzziehenden Selbst in die Selbst-Ständigkeit.
Dort wo man dann zum Beispiel dafür eingekauft wird, dass man jenen Druck rausnehmen soll, den die Unternehmen in Wahrheit behalten wollen. Svenja Hofert
Change ist nicht Bewegung
Was ich sage wird noch klarer, wenn ich Change und Bewegung gegenüberstelle.
Change bedeutet, dass das Jetzt anders werden soll. Dabei wird ausgeblendet, dass es das Jetzt nur als Momentaufnahme gibt. Es ist schon weg, wenn wir es spüren. Spüren wir es nicht, existiert nur eins: die vergangene Erinnerung.
Die gräbt sich bevorzugt mit ihren negativen Seiten ein - und will laufend wiederholt werden.
Was spielt beim Change eine Rolle?
Beim Change geht es darum, dass etwas im Jetzt, das es wie gesagt nur als Vergangenheit gibt, anders werden soll.
Es geht um Ziele und Outcome (wenn nicht sogar nur um Output).
Was rauskommen soll, wird von oben diktiert, verkauft oder hübsch verpackt.
Das System funktioniert aufgrund der vergangenen Erfahrung weiter genau wie bisher oder zumindest ähnlich.
Damit „Neues“ möglich wird, braucht es Druck bis hin zum Erzwingen, weil es die anderen Mittel nicht oder nur selten gibt: emphatische und zugleich klare Begleiter der Lernprozesse.
Ein Beispiel:
Ein Unternehmen muss sich ändern, die Geschäftsfelder brechen weg. Das Top-Management steht unter Erfolgsdruck und gibt den eigenen Druck nach unten weiter.
Da die normale Reaktion ist, auf Druck mit Gegendruck zu reagieren, machen dann alle eine Plank anstatt zu laufen.
Was spielt bei Bewegung eine Rolle?
Hier geht es darum, die Starrheit zu lösen, damit Energien fließen können.
Wenn die Anspannung weg ist, wird plötzlich alles möglich.
Wer locker ist, spürt das Jetzt und sieht die Zukunft.
In der Flow-Zone entstehen Dinge, die man nicht planen kann.
Bevor ich zum praktischen Teil komme, noch ein paar Worte zum Druck. Druck kann subtil sein. Dann ist das „du musst“ nicht ausgesprochen. Es wird stattdessen in immer neue Fragen und Anliegen verpackt.
Der Körper speichert Druck als Anspannung
Der Körper speichert Anspannung. Jene, die durch falsche Haltung bedingt ist, genau wie die psychische. Trennen lässt sich das sowieso nicht. Jede Anspannung ist immer psychisch und physisch zugleich. Wenn ein Dirigent mit dem Orchester schwingt und dieses mit ihm, ist dies eine ganzheitliche Bewegung.
Aber wehe, er denkt darüber nach, ob er gut genug ist. Die Zielzone der Bewegung ist schließlich „Flow“, immer etwas unterhalb der Überforderung angesiedelt. Und Flow funktioniert nicht, wenn man auf sich konzentriert ist und nicht auf die Situation.
Im Change entsteht dieser Flow schon deshalb selten. Was tun? Wenn ihr schon den Druck durch den Change nicht abschaffen könnt, achtet auf euch - und klärt eure Haltung. Was mache ich mit, und was nicht? Woran kann ich sogar wachsen, wenn ich es anders betrachte?
Zoom out
In der Psychologie bewiesen Forscher erst in letzter Zeit wie wichtig psychologische Distanzierung ist. Das bedeutet, dass wir eine Distanz zu belastenden Situationen aufbauen, die Druck erzeugen.
Eine konkrete Technik ist das Zooming out. Zoom steht hier nicht für das Computerprogramm, sondern für Fokus. Man löst sich dabei aus einer verengten Perspektive, indem man den Fokus erweitert. Warum will ich das so sehr? Wieso halte ich daran fest? Was steht wirklich hinter meiner ersten Antwort auf das Warum? Was sehe ich nicht?
Der Blick wird so erweitert. Und dann entsteht Bewegung.
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Beziehungen sind geprägt durch Nähe und Distanz. Darüber spreche ich in meinem aktuellen Video zur Gruppendynamik.
Das Buch “Charter” vom Psychologen Ethan Kross habe ich hier im eigenen Blog besprochen.
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Rom und der Vatikan (ja, ich mag auch christliche Symbolik)
Hier im negativen Sinn: Unserer eigener Keller. Ich habe ausgemistet und diverse Touren mit alten Sachen zum Sozialkaufhaus gebracht. Ich war entsetzt wieviel sich in 20 Jahren ansammelt…
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Am 2.12. halte ich auf dem internationalen Management-3.0 -Kongress eine Keynote (Hybrid): “Connecting Dots”. Hier könnt ihr euch anmelden.
Am 7.12. bin ich mit dem Thema “Psychologie der Veränderung” auf dem Online-Kongress “Tools 4 you”. Hier könnt ihr euch anmelden.
Unsere Ausbildungsgruppe TeamworksPLUS 14 in Präsenz startet am 24.11.22. Wir haben noch einen Platz. Und bringen in Bewegung.
Fortgeschrittene: Meldet euch jetzt schon für meine Summer School Organisationsentwicklung und die Masterclass Nextlevelcoaching im Herbst an,
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Foto von Nathan Cowley: https://www.pexels.com/de-de/foto/frau-die-barenkorper-des-wassers-ausubt-1300526/