„KI ist besser als durchschnittliche Führungskräfte“, behauptet der Psychologe Niels Van Quaquabeke in der Studie “The now, new and next of digital Leadership. How Artificial Intelligence (AI) Will Take Over and Change Leadership as We Know It”, die vor ziemlich genau einem Jahr veröffentlicht worden ist.
Mit seiner Kollegin Fabiola Gerpott möchte er die gänge Perspektive challengen, dass menschliche Führung unersetzlich sei.
Dennoch wird "echte" Führung - d. h. Menschen so zu motivieren und zu befähigen, dass sie einen Beitrag zu den kollektiven Zielen einer Organisation leisten können und wollen - immer noch überwiegend als das Vorrecht von Menschen angesehen. Mit unserem Meinungsbeitrag stellen wir diese Sichtweise in Frage.
Was ist dran?
Lasst uns erstmal ergründen, was er eigentlich meint. Denn um Führung und KI zusammenzubringen, müssen wir erst einmal zwei Dinge differenzieren.
Was ist KI?
Und was ist Führung?
Ersteres wird oft als eine Art “Kampfbegriff” für alles mit Technik genutzt. Wenn wir den Begriff in Zusammenhang mit Leadership verwenden, meinen wir meist genAI, also solche die aufgrund von Eingaben Text, Bild, Video und Audio generiert. Wir könnten auch Algorhitmen meine, die Daten durchforschen. Sowie Chatbots, die fachliche aber auch persönliche Gespräche führen.
Fähigkeiten einer Katze oder neue Spezies?
Die derzeitige Einschätzung schätzt AI-Fähigkeiten zwischen der einer Katze (sagt der Computerwissenschaftler Yan Le Cunn) und einer neuen Species ein - so Microsoft-KI-Chef Mustafa Suleyman in einem Ted-Talk. Wobei wir das mit der Katze. differenziert betrachten sollen: Die ist ganz schön klug - und unberechenbar. Bei genauerer Betrachtung liegen die Aussagen also gar nicht so weit auseinander.
Bessere Entscheider
Dass AI bessere Entscheidungen treffen kann, wenn die Daten gut sind, liegt auf der Hand. Das Zwischenmenschliche kann ihr egal sein - das ist jedenfalls derzeit unsere Annahme.
Durch KI falle schon kurzfristig das untere und mittlere Management weg, prognostiziert Van Quaquabeke. Er meint damit explizit Management, also das Organisieren und Koordinieren. Wenn eine AI unternehmensspezifische Daten durchforsten kann, dann kann sie auch viel detaillierterte Forecasts erstellen oder auch Budgetentscheidungen treffen.
Da Algorithmen viel mehr (individualisierte) Echtzeit-Informationstransparenz bieten können als menschliche Führungskräfte, können KI-Führungskräfte den Mitarbeitern das Gefühl geben, mehr Kontrolle über ihre Arbeit zu haben - und damit die intrinsische Motivation der Mitarbeiter steigern. Quaquabeke & Gernot
Bessere Feedbackgeber
Es ist aber nicht nur das Entscheiden. Auch Feedback von einer AI könnte sehr viel mehr Akzeptanz finden. Denn: Es beruht auf echten Daten. Das individuelle Geschmäckle könnte wegfallen. Dies sagt aber auch etwas über das aus, was wir brauchen: wirklich gute Daten und wirklich gute lernende Systeme. Das könnte dann auch den Menschen besser machen.
Es dürfte auch um aufgabenbezogene Entscheidungen gehen. Überall dort, wo unser Gehirn von menschlichen Biassen und Urteilsheuristiken beeinflusst ist, könnte die Rechenleistung manchem Kurzschluss den Garaus machen. Ob das allerdings immer so viel Akzeptanz findet? Bei Einstellungen ist jedenfalls der Mensch schon allein rechtlich nötig. Doch wie lange noch? Und wie sehr können wir uns Restriktionen im Wettbewerb leisten?
Bei einer vollautomatisierte Absage an Bewerber aufgrund einer KI-Anwendung, handelt es sich um eine automatisierte Einzelentscheidung, die gemäß Art. 22 DSGVO verboten ist.
AI als Teamtrainer
Leadership Apps wie Monday rocks helfen bereits heute, KI-gestützt Impulse für die Teamführung zu geben. Die Daten lassen sich mit anderen Teams aus anderen Branchen vergleichen. Dazu gibt es aktuell (Stand 7/2024) 2.000 Team-Vergleichsdaten. Dabei geht es um Performance, Teamentwicklung, Mitarbeiterbefragung und Engagement. Die App sagt einer Führungskraft z.B. wenn es ein Kündigungsrisiko gibt oder wann sie einen Teamworkshop empfiehlt.
Was hat die AI trainiert?
Doch Vorsicht: Am Ende bleibt die Frage, womit AI trainiert worden ist. Welche Daten werden hier genutzt und auf Basis welcher Modelle Empfehlungen ausgesprochen? Ich habe an anderer Stelle schon darüber gesprochen, dass Projekte auf dem veralteten Emotionsmodell von Paul Ekman aufbauen.
Auch das von Monday rocks verwendete Teamphasenmodell nach Tuckman ist heikel: Es wurde wissenschaftlich nie bestätigt. Meine Erfahrung ist, dass es nur als Beobachtungsmodell taugt. Ich halte es für schwierig, daraus Schlüsse zu ziehen. Oder so gesagt: Eine Führungskraft, die das nutzt, muss mehr Hintergrund haben und kommt ohne eigene Erfahrung wahrscheinlich nicht weiter. Dabei muss man aber auch beachten, dass das System weiterlernt und sich so verbessert.
Der Faktor Mensch - hält auf
AI könnte vieles besser machen. Wir könnten wieder menschlicher werden, uns tiefer hinterfragen, uns aufeinander einlassen. Während AI die Jobs machen, die dafür gesorgt haben, dass die Arbeitswelt wurde wie sie ist.
Auf der Grundlage dieses Konzepts hoffen wir, dass die seit langem geführte Diskussion darüber, ob und wie Business Schools Führung humanisieren können (Petriglieri & Petriglieri, 2015), wieder an Fahrt gewinnt. Quaquabeke & Gernot
Technologie ist immer schneller als der Mensch, viel schneller. Und so sehe ich täglich Entscheidungen wider vorhandenen Besser-Wissens und möglicher Datenerhebungen. Etwa, wenn unsinnige Stellen geschaffen werden, um Machtpositionen auszubauen. Auswertungen? Ach, lass mal, das könnte transparent machen, was nicht transparent werden soll. Bitte keine KI, die dem einen Riegel vorschiebt. Die menschlichen Bedürfnisse sind mächtiger.
Zusammenarbeit wird nicht von übergeordneten Prinzipien für alle gesteuert, sondern von dem, was Menschen im Moment steuert. Und das ist nicht der Verstand.
Co-Piloting scheitert am Menschen
„Im besten Fall wird der Mensch vom ökonomischen Diktat befreit und widmet sich dem sozialen Miteinander und der Ästhetik“, sagt Van Quaquabeke in einem Interview mit der brandeins über seine Studie.
Co-Piloting, also das gemeinsame Führen von Mensch und KI hält Van Quaquabeke für schwierig. Er führt dazu ein Beispiel aus den USA an. Dort soll eine GenKI namens „Harvey“ Juristen bei der Bewertung von Fällen unterstützen. So gut wie kein Jurist entscheidet gegen die KI. Denn würde sich das von Menschen gefällte Strafurteil als zu mild erweisen, hätten die Richter die Verantwortung. Selbstfahrende Autos verursachen weniger Unfälle. Eigentlich sollten wir uns nicht mehr fahren lassen.
Es gibt viele Fakten, aber nicht der Verstand ist dagegen, sondern das Gefühl.
Es gibt noch mehr erste Hinweise auf die Bedeutung von KI in der Zusammenarbeit. Ein im Harvard Business Manager veröffentlichte Studie zeigt, dass die Leistung der Menschen nachlässt, sobald eine leistungsfähigere KI im Team mitspielt. Ich halte es für eine Schlüsselfrage zu untersuchen, was die neue Überlegenheit der Rechen- und Lernkapazität mit uns macht.
Wir wissen: Kommen mathebegabte Kinder in eine Matheklasse, sackt ihr Leistungsniveau unter das Erwartbare. Der Effekt verliert sich mit der Zeit, es kommt zu einem Aufholeffekt. Auch weil es möglich ist, aufzuholen. Doch was macht Wettbewerb auf immer höheren Niveau mit uns, was Unaufholbarkeit?
Vielleicht ein Rückbesinnen auf das, was man wirklich kann.
Entscheidungen als Folge von Gruppenprozessen
Entscheidungen - mindestens jenseits der CEO-Ebene - kommen nicht aufgrund der Schlauheit und Überlegenheit einer Lösung zustande, sondern auf der Basis von komplexen Gruppen- und Kollektivdynamiken. Es setzt sich etwas durch, dann erstarrt es und bewegt sich nicht mehr. Die bewahrenden Kräfte sind immer stärker als die verändernden. Denn sie bewahren ein Gefühl zur Sache.
Gefühllosigkeit als Chance
Gefühle spielen bei KI keine Rolle: Sie analysiert über Beziehungen, Bindungen, Sicherheits- und Egointeressen hinaus. Sie muss keine Sorge haben, ausgegrenzt zu werden (solange sie nicht so programmiert wird). Sie übernimmt damit die Funktion, die derzeit Leute ausfüllen, die in Gruppen auf einer Außenposition agieren. Und dort nicht selten ausgegrenzt sind. Was ihren Wirkradius eingrenzt.
Prinzipienorientierte Menschen etwa, die Dinge tun, weil sie sie für richtig und wichtig halten. Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit haben typischerweise Menschen, die die aktuelle Gefüge stören. Die sich zum Beispiel selbst als Führungskraft überflüssig gemacht haben und dadurch eine Bedrohung für andere darstellen. Die das Big Picture im Blick haben und es höher bewerten als die augenblickliche Beziehung und deshalb schnell als empathielos gelten.
KI missachtet etablierte Beziehungen, Stimmungen, Machtdynamiken. Sozusagen „von Haus aus“. Das prädestiniert sie zu einem Kämpfer für das Bessere.
Wenn wir verstehen würden, was in ihr steckt:
Eine Chance, Wohlstand zu sichern und zu mehren und ein krankes System zu sanieren.
Die Rettung aus dem menschlichen Dilemma, sich einfach nicht aus sich heraus verändern zu können.
Eine Chance für Zusammenarbeit über Ego-Interessen hinaus.
Die konkreten Schritte zu alldem können wir derzeit nicht im Überblick denken. Denn es sind Milliarden kleine Trippenschritte neben den vielen nötigen Weichenstellungen.
Es gibt verschiedene Zukünfte: Eine vergangene, eine gegenwärtige und eine künftige. Die vergangene ist die, die wir gestern erwartet haben. Die gegenwärtige ist die, die gerade ist. Die künftige ist die, die wir uns derzeit noch nicht vorstellen können.
Aber sie kommt ganz sicher. Wenn wir mal aufhören, über konkrete Anwendung und Lösung nachzudenken. Und uns stattdessen fragen, um was es hier eigentlich geht.
AI könnte auf höhere Prinzipien einzahlen und Zusammenarbeit revolutionieren. Vielleicht anders als wir denken. Aber dazu brauchen wir noch so einiges an Evidenz
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Tiefer einsteigen
Das Interview von Niels van Quaquebeke, auf das ich mich bezieht gibt es hier
Schwieriger Motivation hochzuhalten: Einblick von Marc Wolter inklusive der 5 Phasen der KI-Entwicklung nach Kniberg: hier
Studie “KI aks Teammitglied” findet sich beschrieben im aktuellen HBM (7/2024)
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