Hohl, hohler, Holismus
Newsletter 017: Intellektueller Missbrauch, heulende CEOs und die transformative Kraft des Einfachen
Ohne mein Iphone fühle ich mich unvollständig. Ich trage es mit einem Band um den Hals. Es ist wie mein Gehirn, nur außerhalb des Körpers. Mit ihm bin ich ganz, gleichwohl ist es Teil von mir. Aber trägt es auch dazu bei, dass ich als Ganzes wachse? Macht es mich hohl oder holistisch?
Das Ganze transformiert die Teile
Holismus ist die Ganzheitslehre. Es bedeutet: Das Ganze ist mehr als seine Teile. Das Team ist mehr als seine einzelnen Mitglieder. Die Medizin, die Körper und Psyche integriert betrachtet, überwindet Teile-Denken. Und die Organisation, die sich als Teil der großen weiten Welt sieht, macht diese hoffentlich besser. Mit dem iPhone dagegen bin ich mir nicht sicher…
Holistische Führer als Teile-Verwalter?
Es gibt alles Mögliche, das holistisch ist: Coaching, Therapie, Lebensstil, Philosophie. Holismus überwindet Einzelteil-Denken. Es wirkt gegen das 1+1=2-Denken, etwa 1 Talent plus 2 Talent = Doppeltes Talent. Es könnte auch ein Vielfaches sein! Oder eben eine Nullnummer. Die Wahrscheinlichkeit für Vervielfachung erhöht sich, wenn man auf das nächste größere Ganze schaut, ein übergeordnetes Ziel. Wenn die Talente also selbsttranszendent werden.
Im Sinne von Viktor Frankl bedeutet das, dass man über sich hinauswächst, zugunsten von etwas Größerem. Das macht einen selbst kleiner, unbedeutender und erfüllt dennoch mit tiefem Sinn. Dazu habe ich vor Jahren einmal einen Beitrag geschrieben, der viele berührt hat. Ich verlinke ihn unten.
Holistisch oder hohl führen?
Nun lese ich aber immer öfter von holistischer Führung. Ich frage mich, was das sein soll. Teile-Management? Oberaufsicht fürs Ganzheitliche? Und vor allem: Was bedeutet das praktisch? Und wollen die Unternehmen, die sich sowas auf die Fahnen schreiben, das alles wirklich?
Es könnte durchaus etwas bedeuten, sich nicht auf individuelles Verhalten oder Handlungen von Einzelpersonen zu fokussieren, sondern auf einen übergeordneten, einen höheren Zweck. Doch der Zweck einer Organisation ist - derzeit jedenfalls noch - seine Existenz. Spätestens in existenziellen Krisen ist da der Sinn ganz schnell verschwunden.
The crying CEO: eher hohl als holistisch?
Diese Woche ging das Foto eines weinenden CEO via LinkedIn unter dem Hashtag #cryingceo viral. Er litt darunter, Kündigungen aussprechen zu müssen. Es sei das Schlimmste gewesen, was er je hätte machen musste.
Da muss ich an meine Zeit als Consultant denken. Vor mehr als 20 Jahren unterstützte ich Manager - ja, fast immer Männer - bei Kündigungsgesprächen. Einige konnten solche Gespräche einfach nicht aushalten. Ich kann das nicht als positives Leadership deuten, wenn jemand da heult. Schon gar nicht zeigt es den Mensch als Ganzes, wie einige schreiben. Für mich ist das fehlendes Rollenbewusstsein.
Es gehört zum Job einer Führungskraft, kritische und schwierige Gespräche zu führen. Gute Zeiten kann jeder. Es braucht einfach nur Empathie, richtig verstanden. Und das bedeutet hier: Mal nicht an sich selbst denken. Mit Tränen ist niemand geholfen. Mit einem guten Tipp dagegen schon, etwa der Adresse von jemand, der einem weiterhelfen kann.
Mit Zuhören die Welt verbessern
Diese Woche sprach ich mit einem Unternehmer über Führung. Er meinte, die meisten Menschen beherrschen die Grundlagen noch nicht. Das sind Gespräche und Besprechungen. Erst mal nichts Holistisches.
Im Übrigen haben alle entwicklungspsychologischen Modelle einen aus meiner Sicht grandiosen Kerngedanken: Es braucht gewisse Entwicklungsschritte, bevor man andere gehen kann. Man kann sie einfach nicht auslassen.
Niemand erreicht Meisterschaft ohne kleinteilige und harte Arbeit, auch an sich selbst. “Alles Leichte ist schwer, bevor es leicht wird”, schreibt der geschätzte Klaus Eidenschink auf seinem Profil. Kürzer und klarer kann man es nicht ausdrücken.
Mein Unternehmer-Freund fragte: “Warum müssen wir immer auf Stufe 8 von 10 anfangen, wenn die meisten doch nicht mal 1 und 2 beherrschen?” 1 sei einfach zuhören und 2 auf den anderen eingehen können. Damit verbessere man die Welt schon genug. Auf wen geht ein heulender CEO ein - außer auf den Spiegel seiner selbst? Und übertragen auf den Holismus: Was lehrt er, außer das Vorhandensein eines Modells?
Das ist eine ehrliche Frage, die alle Antworten zulässt. Ich habe sie jemanden gestellt, der den Begriff holistische Führung nutzte. Die Antwort war: “Du hast recht - nichts.” Dabei wollte ich nicht mal recht haben.
Intellektueller Missbrauch
Und da fiel es mir wieder ein: Dieser Song, der intellektuellen Missbrauch thematisiert.
Er stammt von Mecano, einer spanischen Band, die Ende der 1980er Jahre den Titel „Robbesbiere Re-Marx“ veröffentlichte. Es geht da um die Heirat zwischen Bourgeoisie und Revolution, die ein Biest produziert.
Den Song hatte ich Jahrzehntelang vergessen, aber jetzt surrt er mir im Kopf herum. Das Biest, das sind intellektuell anmutende Begriffe und Modelle, die sich der Praxis bemächtigen. Dahinter kann man sich gut verstecken. Man muss sich dann nicht die Hände dreckig machen mit echter Arbeit.
Beitragsfoto: Airene / Photocase.de
Weiterlesen, sehen und hören
Den Song Robespierre Re-Mark findet ihr hier bei Youtube (übrigens von 1980, Gott ist das lang her)
Mein Beitrag “Warum Selbsttranszendenz die wichtigste Fähigkeit in der Digitalisierung sein wird”
Auch in meinem 2019-Beitrag für Informatik aktuell geht es um Selbsttranszendenz: Mindshift für die Arbeitswelt der Zukunft
Angeregt vom Gedanken der Einfachheit habe ich ein Video darüber gedreht, was Führung eigentlich ist. Hier gebe ich eine übergreifende Definition.
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