Gefährliches Geplapper
Nr. 38 Groupthink, Kollektivdynamiken, Randomistas und das Asch-Experiment
Womöglich wird die Ministerpräsidentenkonferenz der Coronazeit demnächst als weiteres Beispiel für Gruppendenken in die Geschichte eingehen. Für mich belegt dieses öffentliche Strippenzieherspiel, wie wichtig ein Rahmen ist, der die Entscheidungsfindung in Gruppen berücksichtigt. Einer, der datengestützte Entscheidungen möglich macht. So lässt sich dem Machthaben, Abnicken und Nachplappern entgegenwirken.
“Wir werden uns viel verzeihen müssen”, sprach Jens Spahn einen der meist zitierten Sätze der Corona-Zeit. Und legitimierte damit vorauseilend alles Folgende.
Karl Lauterbach sucht jetzt, da Folgen offensichtlich werden, die Schuld bei der Wissenschaft, die zu der Zeit angeblich nicht gut genug gewesen wäre, um die dramatischen Folgen von Schulschließungen zu belegen.
Wissenschaft als neuer Legitimitätsträger?
Dass Wissenschaft nicht nur Virologie ist, war zwar bewusst, aber nicht einbezogen. Ebensowenig, dass es während der Pandemie in der Wissenschaft durchaus ein Meinungsspektrum gab, das aber nicht gefragt war. “False Balance” ist eben immer eine Frage des Standpunkts - und selbst auch ein Produkt von Kollektiv- und Gruppendenken. Papageiengeplapper - inhaltsleer und nur einem dienlich: Der Mehrheitsmeinung und nicht der Meinungsbildung.
Was legitimiert mein Handeln? Die Suche nach Rechtfertigung im Außen steuert nicht nur politische Entscheidungen. Dass Wissenschaft Legitimität begründet ist allerdings ein recht neues Phänomen. Und die Frage ist ohnehin, ob sie das wirklich tut. Oder sich einfach nur missbrauchen ließ.
Randomistas: Beweisführung im Kleinen fürs Große
Die französisch-amerikanische Ökonomin Esther Duflo hat 2019 den Wirtschaftsnobelpreis bekommen. Die „Ramdomista“ findet durch kleine, randomisierte Studien heraus, was in der Entwicklungshilfe wirklich wirkt. Auf den kleinen Punkt genau. Dadurch kommt zutage, was wirklich Sinn macht, beispielsweise Lehrbuch oder Mobiltelefon. Ziemlich oft, ist es nicht das, was unser „gesunder“ Menschenverstand uns vorschlägt. Vor allem nicht der gesunde Menschenverstand im Kollektiv. Denn der geht in der Masse unter. Diese kann danach Jahrzehnte mit der Wiederholung falscher Handlungen betraut sein.
Es wirkt nicht
Am Beispiel der Entwicklungshilfe sieht das so aus: In 40 Jahren mit über 3,04 Milliarden US-Dollar ist immer noch unklar, was dabei für die Menschen wirklich herauskommt. Und ob überhaupt etwas rauskommt. Vielleicht sind solche Hilfen sogar der Grund, dass Afrika sich nicht früher ökonomisch befreit hat. Das Problem der Mikrokredite hat Duflo jedenfalls schon aufgezeigt.
In Sachen Corona kommt nach und nach an die Öffentlichkeit, was einige schon früh gesagt haben, etwa dass Masken offenbar wenig wirken, wenn sie nicht korrekt getragen werden. Was die Regel ist und nicht die Ausnahme.
In angespannten Kollektivkrisen zeigt sich dass der Mensch eben doch ein Herdenwesen ist und der Verstand äußerst enge Grenzen hat. Deshalb befürworte ich den Einsatz künstliche Intelligenz auch in der Bildung. Ich bin fest überzeugt, wir können damit viele Dinge besser entscheiden als mit dem Kollektivbauch.
Die Moral von der Geschicht´
Es muss dafür nur eines passieren: Wir müssen verstehen, dass wir so sind, wie wir sind. Dass Systeme unsere Handlungslogik steuern. Unser Zugehörigkeitsgefühl mehr Einfluss hat als Daten und Fakten. Deshalb würde ich allen jungen Menschen empfehlen, an solchen Zukunfts-Themen zu arbeiten. Sie werden mehr Einfluss auf die Rettung der Menschen haben als Klimakleber.
Nichts wirkt so spaltend und stark wie die moralische Grundüberzeugung der Gruppe, zu der wir uns zugehörig fühlen. Sie sind stärker und handlungsleitender als persönliche Eigenschaften. Das hat der Moralpsychologe Jonathan Haidt für den amerikanischen Sprachraum gut untersucht. Es erklärt einiges, etwa den Trumpismus. Die sozialen Mechanismen dahinter sind im Asch-Experiment erkennbar.
Das Asch-Experiment: Unterstützte Falschaussagen
Das Asch-Experiment wurde von Solomon Asch in den 1950er Jahren durchgeführt und bis heute immer wieder bestätigt. Es untersuchte die Auswirkungen von Meinungen anderer auf die Meinung eines Individuums und zeigte, dass Menschen allzu schnell bereit sind, ihre eigene Überzeugung zu verändern, um sich der Mehrheit anzupassen.
Zufällig ausgewählte Probanden sollen in einer Gruppe die de facto unterschiedliche Länge von Linien auf Karten bewerten. In die Gruppe sind Personen eingeschleust, die fest behaupten, die Linien seien gleich lang. Die echten Probanden werden gebeten, ihre Meinung dazu zu sagen. In vielen Fällen passen sie sich der Meinung der geschulten Meinungsführerinnen an, obwohl sie definitiv falsch ist.
Normen und Zugehörigkeitsgefühle
Normen entstehen - ohne, dass wir über sie sprechen. Sie entstehen aus Systemlogik und individuellem Verhalten.
Es ist eine der wichtigsten Aufgaben der Teamentwicklung, entstandene Normen sichtbar und bewusst zu machen. Auch, um schädliches Gruppendenken zu verhindern.
Dieses ist nicht nur in der Politik gefährlich. Das Entwicklungshilfe-Beispiel zeigt wie dadurch Geld verbrannt wird, das sinnvoller hätte eingesetzt werden können. Auch in Unternehmen nützt Gruppendenken nur kurzfristig - denen, die damit die Macht aufrecht erhalten.
Weitreichende Entscheidungen werden dann durch falsche und lückenhafte Informationen legitimiert.
Gerade wenn es um künftige Weichenstellung geht, Stichwort KI, ist das auch ein erhebliches unternehmerisches Risiko. Es geht also nicht nur um ein soziales Phänomen.
Weiter: Lesen, Sehen & Hören
Aus einem mir unerfindlichen Grund geht mein Audio über “Nichts wie weg hier” bei Youtube richtig durch die Decke. Wer weiß woran das liegen könnte, gerne mailen :-)
Andrew Leigh (2022): Randomistas. How radical Researchers are changing our world.
Über Gruppendenken habe ich schon viel geschrieben. Grundlagen dazu hier.
Über Kollektivdenken und Massenpsychologie hier bei Teamworks.
Inspiriert hat mich diese Woche
Die Randomistas, siehe Buchtipp
Die Debatte über KI
die z.B. auch bei Linkedin geführt führt. Findet ihr auf meinem Profil, angestoßen von Gitta Peyn
Zensur durch KI? Dazu empfehle ich das Video von Prof. Rieck
Offene Termine
Da Psychologie der Veränderung im Februar mal wieder ausgebucht ist, habe ich einen Ersatztermin für April eingestellt
Fortgeschrittene: Meldet euch jetzt schon für meine Summer School Organisationsentwicklung und die Masterclass Nextlevelcoaching im Herbst an,
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