Warum Werte nicht schwarzweiß sein können
No. 75: Entscheidend ist der Raum zwischen dir, mir und wir
Fast alles über Werte
No. 76: Außer der Reihe
„Die Zuschreibung des Bösen liegt nahe, sobald ein Gegenüber sich an Werten orientiert, die man selbst für problematisch oder gar gefährlich hält!“ Fabian Bernhardt im Philosophie Magazin
Vor kurzem habe ich diesen Podcast über "KI und Führung" gemacht. Inzwischen sind mit ein paar Beispiele für den "Führungseinsatz" von KI zugetragen worden, die mich irritieren. Zum Beispiel verwendete eine Führungskraft ChatGPT, um das Verhalten ihres Mitarbeiters in einer kritischen Situation zu analysieren. Sie holte sich also nicht nur eine Gesprächsvorlage, sondern auch ganz konkrete Feedback- und Beurteilungsideen von der KI.
KI für Feedback? Hilfe, nein!
Das finde ich insofern problematisch, da die aus einer KI resultierenden Empfehlungen stets wie "weißgewaschen" wirken. Sie haben weder Ecken noch Kanten. Außerdem beeinflussen sie die eigene Meinung. Und verhindern dann Selbstdenken.
Welche Werte liegen dahinter, wenn jemand das tut? Ich vermute: Unsicherheit, der Wunsch die eigene Meinung abzusichern. Ein auf "Wattebäusche" ohne Ecken und Kanten programmiertes Textmodell... Das triggert mich. Könnte das mit meinen Werten zu tun haben?
Eindeutiger "schwarz" sind manche Reaktionen auf einen anderen Podcast, den ich mit Klaus Eidenschink über Narzissmus geführt habe ("Narzissten gibt es nicht"). Uns wird vorgeworfen, wir würden Opfer verhöhnen und Täterschutz betreiben. Das Gesagte wird als "böse" empfunden und ohne jede Schattierung abgewertet. Dabei schattieren wir - was als problematisch angesehen wird. Extreme sind beliebt.
"Mein Vater war ein guter Mensch": Wir relativieren, wenn es passen soll
"Mein Vater war ein guter Mensch", das habe ich öfter gehört. Eine geliebte, familiär verbundene Person hat ein paar üble Dinge getan, aber im Grunde war sie gut. Selbstschutz? Der Wunsch nach konsonanter Lebenserfahrung? Gar ein gefährlicher Relativismus? Vielleicht. Vielleicht liegt aber auch der Wert "Verzeihen" dahinter.
Am Ende ist das "gut" immer die Schwester des "böse". Die Frage ist, die der Füllung.
In einer Todesanzeige wurde eine nahe Angehörige vergessen. Diese Angehörige deutet das als Affront. Ihr Selbst-Wert ist verletzt, der Blick auf die anderen - unmöglich: Sie sind böse! Verzeihen? Schwierig, wenn man selbst betroffen ist. Wenn man nur sich fühlt und nicht die anderen. Aber sind das dann Werte? Ich meine: nein.
Schwarz und weiß kann keinen Wert beinhalten
Wenn wir Werte als Handlungsqualitäten definieren, dann spiegeln sich in all den Beispielen keine Werte. Dann sind das alles nur automatische Reaktionsmuster. Und hier liegt der Unterschied: Werte sind keine Automatismen des Handelns. "Zwischen Reiz und Reaktion" liegt ein Raum. Dieser Raum ließe sich mit Werten füllen. Und da zwischen mir, dir und wir auch ein Raum liegt, braucht dieser Raum den Blick auf die Anderen.
Dem Schwarzweiß liegt keine eigene Qualität zugrunde. Es ist ein reines Abstoßungsverhalten und im Wortsinn wert-los. Wenn diffuse Schwarzweißdynamiken um Deutungshoheit kämpfen, sind Werte nur ein Deckmäntelchen und in Wahrheit entweder (leere) Worte oder ein Spiegel von Selbstbezogenheit.
„Werte sind nicht paradoxiefähig“ sagen Systemiker. Ich kann mich in diesem Moment nur für eine Sache entscheiden: Beispielsweise kann ich mich entscheiden eigene Verletztheit zurückzustellen, weil ich weiß, dass meine Reaktion momentan schwarzweiß wäre. Ich kann mich entscheiden, auf den anderen zu blicken, um das, was ich fühle durch diesen Blick zu verhindern.
Pogo geht nur, wenn innen aufgeräumt ist
Ein bestimmter Wert kann nicht gleichzeitig mit seinem direkten Gegenteil "live" gehen. Aber er kann sich mit anderen verbinden - oder mit diesen Pogo tanzen. Das geht aber eben nur, wenn es innen aufgeräumt ist. Ist das nicht der Fall gibt es Verletzte.
Ich neige zu Direktheit, was sympathisch und nervig sein kann - je nachdem, wen es trifft. Auch das analytisch Messerscharfe, eine meiner Kompetenzen, verliert dann seine Verbindungsfähigkeit. Zack, ist es raus - ohne dir und wir. Neulich habe ich mal wieder automatisch reagiert, ohne Zwischenraum. Merke ich das, tut mir das leid und ich beginne zu schattieren.
Da fällt mir ein, dass man den Nordpol mit einem Stabmagneten anziehen kann, den Südpol stößt man ab. Und das ist vielleicht einerseits Dilemma und andrerseits Erklärung. Der gleiche Wert kann hier verbinden und dort polarisieren. Und das ist nicht nur eine Frage von Personen, sondern auch Situationen.
Ein Wert existiert nur im Zwischenraum, zwischen dir, mir und wir. So betrachtet kann er nicht schwarz oder weiß sein.
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