No. 49 Über die Freiheit, mal gemein zu sein
Da habe ich mich kaputtgelacht, weggeschmissen. Und zehn Leute lagen mit mir lachend am Boden.
Wir hatten ein Rollenspiel gemacht. Die gespielte Situation war skurril. Es ging um Hans-Peter, der natürlich anders heißt. Als von ihren kognitiven und Beziehungs-Fähigkeiten her ungeeignete Leitungsperson legt er seinen ganzen Bereich lahm. Eine tragik-komische, bemitleidenswerte Gestalt. Natürlich geschaffen und geprägt durch das System, das schwache Persönlichkeiten ge- und befördert hat.
Höfliches Wertschätzen netter Menschen verfestigt dieses Muster. Spielregel: Immer wenn Hans-Peter etwas sagt, bewahren alle die Contenance, sind nett und im transaktionsanalytischen Wohnzimmer des Erwachsenen-Ichs. Das Lachen - verbannt. Die eigene Genervtheit: wird sich selbst nicht zugestanden.
Dieser Text als Podcast:
Jeder ist eine 10?
„Jeder ist eine 10“, lautet einer unserer Leitsätze, die wir in Ausbildungen zur Diskussion stellen. Es steht auch in unserem Buch “Teams und Teamentwicklung”. Ich habe den Satz schon vor längerer Zeit relativiert. Es ist nicht jeder immer und für jeden, an jedem Platz und in jeder Situation eine 10.
Das sage ich - als eine Person mit Hang zu Nettigkeit. Eine, die schon als Kind lieber Prinzessin sein wollte als böse Zauberin. Und ihrer Mutter das unattraktive Clownskostüm nie verzeihen konnte (wir sprechen vom Karneval - ich bin Kölnerin).
„Habe ich die Freiheit, den anderen als eindeutig feindselig zu betrachten, oder muss ich ihn als im Grunde wohlwollend ansehen?”
Jeder ist eine 10 - das ist der letzte Teil des Satzes in eigener Übersetzung. „Habe ich die Freiheit? Eindeutig feindselig? Nicht wohlwollend?” Der Satz stammt aus der Konfliktdynamik der Metatheorie von Klaus Eidenschink, mit der ich auch gern arbeite. Und dessen Buch “Die Kunst des Konflikts” ich hier enpassent besprechen und empfehlen werde (siehe Kasten).
Die Contenance verlieren? Wütend sein? Gar gemein? Ich doch nicht. Doch da war ich lange nicht ganz ehrlich zu mir selbst. Ich habe das getan, was viele tun, wenn sie bestimmte Persönlichkeitsanteile in den Keller sperren. Dann sagt man unbewusst Dinge wie “das gehört nicht zu mir, das bin ich nicht.“
Meine Mutter, Tochter eines Theologen, ließ sich in den 1970er Jahren scheiden. Damals war das selten; es galt als Schande. Mein Vater, in meiner Familie nicht gut angesehen, flüchtete und ging als einer der ersten Expatriates nach Griechenland.
Als damals so genanntes Schlüsselkind war ich ein seltenes Exemplar. Bei einem Spiel verärgerte mich ein Mädchen mit der Aussage „du hast ja keinen Papa mehr“ - welche heutzutage kein Mensch mehr als Beleidigung verstehen würde.
Damals aber war es eine. Was tat ich? Ich habe dem Kind mit einem Bauklotz eins überzogen…
Gewalt? Ich? Niemals…
Diese Szene war Jahrzehnte aus meinem Gedächtnis verschwunden, obwohl sie einige Personen in meinem Umfeld kannten. Gewalt? Ich? Niemals… Bis ich meinen aggressiven Akt annehmen konnte, brauchte es Konflikte, in in denen ich mein bisheriges Muster der Schlichtung und Überintellektualisierung verstehen und dann durchbrechen konnte.
Heute kann ich anders an Konflikte herangehen. Klaus schreibt:
“Wer andere nicht als Feinde anerkennen kann, hat sich für Teilblindheit entschieden. Es ist ein wesentliches Merkmal seelischen Intaktseins, andere als feindlich wahrnehmen zu können.”
Aber das heißt nicht, dass wir uns gleich auf die andere Seite werfen müssen. Denn wenn ich vom anderen nicht auch noch hoffen kann, dass er mich positiv überrascht, mache ich die Verflüssigung des Konflikts unmöglich. Und jeder von uns hat andere Grundmuster. Diese zu labialisieren löst nicht den Konflikt, aber die innere Verspannung. Und darüber, ohne Wunder, verändert sich auch der Konflikt, der für sich genommen als System besteht.
Konflikte wollen reguliert und nicht gelöst werden
Und darum aber geht es. „Konflikte können nicht gelöst werden. Müssen sie auch nicht. Sollen sie auch nicht. Konflikte können reguliert warden”, so Eidenschink.
Den Satz finde ich besonders wohltuend als jemand, der in eigenen Ausbildungen Sprüche wie „Lilalö“ (lindern, lassen, lösen) gelernt. Wir können uns eben lediglich die Freiheit nehmen, uns vom bisherigen Umgang mit dem Konflikt zu lösen. Aber aus der Welt ist der Konflikt damit nicht. Er ist in diesem Sinn nicht lösbar. Es braucht etwas um ihn zu regulieren. Und das ist etwas, das den Konfliktparteien bisher fremd war. Nehmen wir die andere Seite der Nettigkeit, die Grund-Aggressivität. Hier könnte es zum Beispiel diese Frage geben:
“Habe ich die Freiheit, beim anderen zu erforschen, ob er auch meine Wünsche im Blick hat, oder habe ich die Erwartung, dass vom anderen etwas „Gutes“ kommen könnte, aufgegeben?”
Auch sie kann zum Erforschen der Konfliktdynamik einladen. Denn am Ende geht es darum, herauszufinden, wie wir verflüssigen können, was hart geworden ist. In uns selbst, in den Interaktionen.
Eigene und fremde Bewertungen infrage zu stellen ist dabei eine besonders wichtige Fähigkeit. Zu feste Wertvorstellungen kanalisiert in „man muss doch“ oder „man darf nicht“ sind Konfliktverschärfer. Oft sehe ich das gerade auch bei denen, die in einer begleitenden Rolle arbeiten. Sie wollen “gewaltfrei” kommunizieren, Werte leben.
Der Konflikt interessiert sich nicht für meine und unsere Werte. Svenja Hofert
Es geht um Spielräume
Ebenso wie Vorstellungen von „Konfliktlösungen“ oft werte-überfrachtet sind. Wer dagegen reguliert und nicht löst, sucht nach neuen Spielräumen. Das kann mit Konsens oder Streit passieren, je nachdem, was Spielräume schafft und funktional ist.
Eidenschink schreibt:
„Wenn der Klügere mit der besten Lösung nachgibt, dann ist das eben nicht klug. Wenn der mit der falschen Lösung sich durchsetzt, ist das dumm.”
Wie oft passiert das in Unternehmen. Und wie oft passiert das deshalb, weil wir Gleichheitsideale und Wertschätzungsdämmungen hochhalten.
Es gibt noch viele weitere Gründe, die dafür sprechen dem Konflikt zu huldigen, ihn zu feiern und selbst das Kämpferische nicht pauschal abzulehnen.
Konflikte beflügeln Kreativität
Einer der für mich wichtigsten: Konflikte beflügeln Kreativität. Sie verändern die bestehende Ordnung – ob in uns selbst oder in den uns umgehenden Systemen.
Das können wir derzeit beim Einzug von Künstlicher Intelligenz in Kunst und Design erleben - ein riesengroßes Trauma für Kreative. Wir haben geglaubt, KI könne nicht kreativ sein und sehen nun, dass sie das doch kann. Sie vermag den Stil eines Künstlers kopieren. Die Honorare verfallen aktuell, der Wert kopierbarer Kunst - drop down. Einen Gerhard Richter, einen Jackson Pollock - die KI kann alles nachmachen und eben mehr: sogar neu machen.
Künstler wehren sich, einige sind verzweifelt und resignieren, andere sagen „jetzt erst recht.“ Sie suchen nach neuen Wegen. Sie suchen den Konflikt mit dem bestehenden Verständnis. Das fühlt sich für mich richtig an.
Konflikte brechen die bestehende Ordnung.
Auch wenn es brutal, grausam und fürchterlich sein kann. Aber wo stünde die heutige Welt ohne all die vorherigen Konflikte zwischen in Menschen, zwischen Kulturen, zwischen Gesellschaften, Systemen und Alt und Neu.
Der Mensch begann zu sprechen, weil er dem anderen mehr als einfach nur den Kopf einschlagen wollte. Das ist die Funktion der Sprache, sie beinhaltet die Werkzeuge zur friedvollen Verständigung.
Nun kann KI sprechen, so gut wie wir. Sie führt uns die ganze Unsinnigkeit subtiler, abstrakter Sprache vor Augen. Denn sie schreibt und spricht ohne auch nur ein Wort zu verstehen.
Ich ahne, dass das der zentrale Konflikt sein wird, der Neues hervorbringen könnte, jenseits der Sprache. Was es sein wird, ahne ich nur. Es könnten ganz neue Fähigkeiten sind, und diese sind nicht sprachlich, sie sind überindividuell.
Denn wir, als Menschen, sind am Ende doch ein 10.
Dieser Text als Podcast:
Weiter: Lesen, Sehen & Hören
Buch-Tipp der Woche: Klaus Eidenschink 2023): Die Kunst des Konflikts, erschienen bei Carl Auer. Das Buch ist meine unbedingte Empfehlung auch für Menschen, die in Mediation und Konfliktmoderation ausgebildet sind. Für mich bietet die “Metatheorie der Veränderung” die praktischste und konkreteste Ich-Entwicklung den ich kenne. Aber ich merke, sie baucht Vorkenntnisse. Das Buch vermittelt diese Vorkenntnisse, nicht als leichte Lektüre, aber feinsinnig und sehr gut strukturiert. Für ein Carl-Auer-Buch, die oft recht trocken geschrieben sind, erstaunlich gut.
Mein Buch “Mach dich frei. 100 mentale Modelle” ist jetzt vorbestellbar.
Podcast mit mir über Quiet Quittung bei Spotify (findet ihr auch bei Apple etc.)
Meine Videos: Vor 4 Jahren habe ich das Video “Der Computer ist nicht Gott” über KI aufgenommen und über narzisstische Kränkungen gesprochen. Dieses Aktuell geht es um Augenhöhe und warum sie Unterschiede voraussetzt.
Offene Termine
From Hierarchies to Ecosystems: Mit Emanuelle Quintarelli bin ich Keynote Speaker auf der Agile World in München. Thema “From Hierarchies to Ecosystems”. Hier findet ihr Infos. Wollt ihr dabei sein? Dann schreibt mich an. Ich schicke euch einen 10%Gutschein.
Wie organisieren wir uns zeitgemäß und postagil? Die Summer School New Organizing verbindet Ich-Entwicklung und systemische Ansätze mit der Metatheorie der Veränderung (und auch Konfliktdynamik). Jetzt ist noch ein Platz Platz im sönen Kattendorf. Hier findet ihr Infos zur Summer School Organisationsentwicklung.
Mindshift Masterclass
Diese Woche geht mein Online-Kurs Mindshift bei Elopage Online. Er besteht aus 4 einzeln buchbaren Modulen mit Audio und Videos und einer Klasse mit 3 Livesessions. Bitte schreibe mir, wenn du Interesse am Kurs hast. Im ersten Monat nach Erscheinen bekommen Abonnenten dieses Newsletters einen 20%-Gutschein auf einzelne Module und den gesamten Kurs. Wundert euch nicht übers “Sie”, hinter der Schranke bin ich wieder auf “Du”. Interesse am Kurs? Schreibt mich an.
<div style="padding:56.25% 0 0 0;position:relative;"><iframe src="
Alle Termine.
Alle Teamworks-Termine.
Mir folgen?
Linkedin (mein derzeit aktivster Account)
SvenjaHofert Mindshift auf Youtube (alle 14 Tage Videos zur Psychologie der Veränderung)
Herzerfrischender Newsletter
Freue mich immer drauf
Dann „muss“ ich das neue Eidenschink buch also doch bestellen ;-)