Es gibt keine psychologische Sicherheit
Über den Sinn und Unsinn von Psychomodelle (Update Nr. 67)
Wir sollen psychologisch sicher sein, unsere inneren Kinder integrieren und ein growth Mindset haben. Psychomodelle sind wie bunte Luftballons: schön anzusehen – aber auch leicht zu missbrauchen. Manche gaukeln uns auch echten Blödsinn vor, durch Copy & Paste tausendfach reproduziert.
Ich gebe zu, ich war mal Fan. Ich liebte Psychomodelle. Heute schaue ich anders darauf. Es passiert zu oft, dass sie missbraucht werden. Dann werden sie beliebig, nichtssagend, austauschbar und zur Binse. Es passiert auch oft, dass sie sinnentstellt werden. Dann verlieren sie die ursprüngliche Aussage. Sie dienen dann lediglich als eine Art Schützenhilfe.
Was sind Modelle?
Modelle sind abstrakte Verdichtungen und Erklärungen von Wirklichkeit. Sie sind wie Abziehbilder von dem, was ist. Psychomodelle basieren oft auf wissenschaftlichen Daten. Manche Modelle dringen in den Unternehmensalltag, andere ins Privatleben.
Eines der in letzter Zeit sehr beliebten psychologischen Modelle für das Privatleben ist das innere Kind, das die Autorin Stefanie Stahl mit dem Bestseller “Das innere Kind will Heimat finden” für den Mainstream großgezogen hat. Dieses Modell ist in Wahrheit nichts al eine von verschiedenen psychologische Schulen verwendete Metapher. Was allerdings einige vergessen haben, die damit operieren.
Eines der in letzter Zeit sehr beliebten Modelle für den Unternehmensalltag ist das Modell der psychologischen Sicherheit. Es stammt von Amy Edmondson. Das Modell ist die Lebensleistung einer Harvard-Forscherin, die sich mit Teams beschäftigt und der Frage, was sie erfolgreich macht. Allerdings in Kontexten wie dem amerikanischen Gesundheitswesen, die nicht so ohne weiteres in eine deutsche Behörde übertragen werden können. Auch die “psychologische Sicherheit” ist irgendwie eine Metapher. Doch ihre Existenberechtigung bezieht sie aus statistischen Methoden, die ihre Existenz belegen.
Doch ob inneres Kind oder psychologische Sicherheit: Beides sind - Modelle und nicht die Wirklichkeit. Diese Sichtweise geht bei dem Hype um sie leider verloren. Es gibt Anwender, für die sind sie nicht nur Wirklichkeit, sondern auch Wahrheit.
Was sind Modelle?
Amy Edmondson hat herausgefunden, dass bestimmte Krankenhausteams mehr Fehler meldeten als andere. Sie wollte wissen, warum das so war - und war überrascht. Die Menschen in “sicheren Teams” machten nicht mehr Fehler, sondern meldeten diese bereitwilliger. In diesen Teams herrschte ein Klima, in dem Mitglieder gerne aus Fehlern lernten, anstatt diese zu verbergen. Nun ist dies wünschenswert für viele transformative Zusammenhänge.
Jede und jeder, der seine “Kultur ändern” will, freut sich also über die Kernaussage. Sie dient einem Zweck und transportiert ein Versprechen: “Führungskräfte, wenn ihr die Leute sicher macht, dann sind wir erfolgreicher”. Das ist natürlich ein absoluter Kurzschluss. So wie auch niemand der inneren Kindern Heimat gibt, dadurch automatisch seine Probleme löst. Dazu teile ich in meinem Buch “Die Coachingfalle” (erscheint 7.10.2025) wahre Geschichten..
Kurzschluss-Gedanken zum Change-Storytelling
Wenn - dann ist die Lieblingsbeziehung all jener, die sich an Rezepten festkrallen, ach Psychorezepten. Ich nennen es “Kurzschluss”,. Nun wird dieser Kurzschluss auf alle Branchen und Zusammenhänge übertragen. Er kursiert in Versicherungen, Ministerien und fast jedem Seminar. Dort mutiert er immer öfter zu einer Binse des “Change Storytellings”. Und damit droht ihm das gleiche Schicksal, dass auch andere Modelle ereilte, etwa das Growth Mindset von Carol Dweck: Sie werden profan, verlieren an Wert, nutzen sich ab. “Ah, kenn ich schon”, sagen dann die Seminarteilnehmerinnen und gähnen.
Growth Mindset war chronologisch etwas früher “dran”: Microsoft-Chef Sataya Nadella hat damit seinen Kulturwandel nach der Steve-Balmer-Ära kommunikativ begleitet. Aber lässt sich auch der Erfolg des Kulturwandels auf das Modell zurückzuführen? Natürlich nicht. Es zeigt nur wieder eines: Wir suchen weiterhin die linearen Zusammenhänge und stellen sie künstlich her.
Dabei passieren zwei Dinge: Erstens werden die Modelle aus ihrem Kontext gerissen. Und zweitens entkoppeln sie sich von Führungshandeln. Sie landen im kommunikativen Appellstatus an Mitarbeitende und Führende - und sind damit irgendwann nur noch das Amen in der Kirche. Dabei liebt man die Übersetzung in prägnante Abziehbildchen.
Verdrehte Kernaussagen - ein weiteres Phänomen
Augenöffnend fand ich den Beitrag von Frank Habermann über die Stacey-Matrix. In seinem Blog “Over the fence” zeigte Habermann, dass Ralph Stacey erstens niemals eine solche Matrix entwickelt hatte, wie sie tausendfach kursiert und in Seminaren vermittelt wird und wurde. Und dass zweitens diese nie als Methode der Komplexitätsbestimmung gedacht war. Das erinnerte mich an die Maslowsche Bedürfnispyramide, die auch nicht von Maslow, sondern von einem seiner Studenten stammen soll. Auch Maslows Modell ist am Ende nur eine Idee. Wissenschaftlich “bewiesen” wurde sein Bedürfnis “Selbstverwirklichung” jedenfalls nie. Und auch die Pyramide ist eine Konzession an bildliche Gefälligkeit.
Wann wird aus dem Versuch, eine gute Sache populär zu machen, purer Populismus? Frank Habermann
Nun ist die Stacey-Matrix kein Psycho-Modell, aber das Anwendungsprinzip ist durchaus vergleichbar: Da wird etwas aus dem Kontext gerissen und auf das übertragen, was gerade irgendwie argumentiert werden muss. Die Dinge werden also auf Linie gebracht, damit sie sich verkaufen.
Die Fehlschlüsse: Modell heißt Wirklichkeit. Und: Kennen heißt Können - natürlich nicht.
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Lese jetzt die Langform des Textes und höre den Podcast zum Beitrag.
In der Praxis erlebe ich oft Menschen, die nach dem Prinzip “kenn ich" wahrnehmen. Sie scheinen zu denken, dass Kennen gleich Können ist - und man an alles, was man kann einen Haken machen kann. Das ist ein inuitiver Schutzmechanismus, um sich nicht näher damit beschäftigen zu müssen.
“Das ist nicht neu, also bringt das auch keine Lösung”, so etwa das abgekürzte Denken. Die Leute haben hunderte Modelle gesehen und schließen von “kennen” auf “können”.
An Details und Tiefe besteht deshalb kein Interesse, weil das bedeuten würde, sich intensiver mit der eigenen Wahrnehmung zu beschäftigen. Es würde dann um Anwendung gehen, um Lernen und Auswerten. Das ist bedeutend anstrengender und erfordert Selbstreflexion. Lernpsychologisch geht es dann vor allem darum zu erfahren, dass man etwas (noch) nicht kann. Das Selbstbewusstsein sackt dann naturgemäß etwas ab.
Je lernunerfahrener Menschen sind, desto stärker ihre Abwehrmechanismen dagehen. Svenja Hofert
Wenn in Kontexten mit viel Lernunerfahrenheit nun das Modell der Psychologischen Sicherheit “ausgerollt” wird, packt man es gerne in einen Zwei-Tage-Kurs und würzt es in ein Modellfeuerwerk. Eine verhaltensorientierte Verarbeitung findet nicht statt. Es ist ungefähr so, als würde ich einmal durch ein Museum rennen und mir Bilder ansehen. Dann kann ich sagen “ja, ich kenne Gerhard Richter”.
Forschungsdaten sind immer speziell
Forscher tauchen tief in ihre Daten. Das ist ihr Job. Deswegen wissen wir nicht, was die Fehlermelde-freudigen Teams von Frau Edmondson vielleicht sonst noch ausmacht.
Wie jemand mit Fehlern umgeht ist sicher eine Frage des Kontexts, aber nicht nur. Wenig selbstbewusste Krankenpfleger, die sehr mit sich selbst beschäftigt sind, werden einem Chefchirurg vermutlich auch dann nicht offen auf einen Fehler hinweisen, wenn dieser glaubt, ein “sicheres” Umfeld bereitet zu haben…. Es ist subjektiv und nicht nur kontextbasiert verschieden, was ein Mensch als “sicher” empfindet. Karrieristen werden auch dann taktieren, wenn ein wohlmeinendes Umfeld Ellenbogen mildert…
Es ist so wie mit der Motivation: Ich kann mich nur selbst motivieren. Für meine Zufriedenheit bin ich ebenfalls allein verantwortlich. Führungskräfte sollten also mehr an der Beseitigung demotivierender Faktoren arbeiten als umgekehrt sich an Motivation abzuarbeiten…
Hier kommt ihr zum Podcast mit Prof. Hannes Zacher, der einige Aspekte zu Psycho-Modellen einbringt. Ihr findet ihn jetzt auch auf anderen Plattformen wie Apple. Ich als Neuling freue mich besonders über “Sterne” :-)
Und dann wäre da noch etwas anderes: Modelle zahlen auf Aspekte ein, die so einfach sind, dass die Neu-Sucher nichts finden werden. Es geht nämlich immer um Kognitionen, Emotionen und Verhalten.
Diese sind durch den jeweiligen Kontext geprägt, aber mit persönlichen Erfahrzngen (auch in anderen Kontexten) und Eigenschaften verwoben. Das heißt, auch wenn Modelle wie eben psychologische Sicherheit ausgestellt sind, werden diese weiterhin durch das geprägt sein, was im jeweiligen Kontext IST oder genauer: sich zeigt.
Die wichtigste Frage: Was prägt diese Muster - und nicht wer
Und nicht durch das, was im jeweiligen Kontext SEIN SOLL. Letzteres braucht eine grundlegende systemische Veränderung. Das geht nicht ohne Innehalten und Wahrnehmen der Denk-, Fühl- und Handlungsmuster. Inklusive der wichtigsten Frage: Was prägt diese täglich neu? Und nicht etwa: Wer?
Psychomodelle werden auch deshalb so gern genutzt, weil sie suggerieren, es ginge um reine mentale Einstellungen. Das ist aber nicht der Fall. Es geht vielmehr darum, die eigenen Muster zu erkennen und zu reflektieren. Der kulturelle Kontext gehört dabei dazu. Der ist aber viel unmittelbarer als viele meinen. Ich kann nicht für 5.000 Menschen deren Soll-Denkmuster vordenken und somit eine Art zu denken ausrollen. Sie müssen von kleinen Gruppen erfahren werden.
Leider denken Verantwortliche oft immer noch viel zu wenig in Systemen. Aber wir hier arbeiten ja daran.
Einen schönen Sonntag!
Was denkt ihr dazu?
Weiterdenken
Beitrag über die Stacey-Matrix in “Over the fence” von Frank Habermann, hier
Etwas Hintergrund zur Psychologischen Sicherheit:
Auch die Google-Studie Aristoteles wird häufig zur Argumentation von psychologischer Sicherheit herangezogen. Bei Teamworks
Im Youtube-Video bringe ich das Thema in 8 Minuten noch mal etwas anders auf den Punkt: