Die Chancen der Spaltung
Newsletter 016 vom 7.8.22: Vielfalt, Gerechtigkeit und worum es wirklich geht
Alles spaltet: Die Coronapolitik, die Gaskrise, der öffentlich-rechtliche Rundfunk, die Genderdebatte, Homeoffice und die Arbeitswelt. Dort gibt es die Wissensarbeiter und den Rest. Die Wissensarbeiterinnen können zu Hause arbeiten, der (große) Rest nicht.
Homeoffice als giftiger Spaltpilz.
Die Spaltung sei gefährlich lautet das übliche Narrativ. Es gelte Spaltung zu vermeiden, sonst drohe Ungemach. Die Leute könnten sich radikalisieren und wie die Gelbwesten auf die Straße gehen. Nicht nur die Politik hat vor vermeintlicher Spaltung panische Angst - auch die Unternehmen.
Dass Spaltungspotenzial im Homeoffice zu stecken scheint, hat diese Woche Siemens bemerkt. Man müsse aufpassen, dass es nicht zu einer Spaltung komme, ließ Betriebsratsschefin Birgit Steinborn verlauten. Dabei hat der Konzern schon früh zwei bis drei Tage Homeoffice als Corona-unabhängige Dauerlösung versprochen.
Nun zeigt sich aber, dass vor allem die Frauen zuhause bleiben, wegen der guten Vereinbarkeit. Das ist der Karriere nicht gerade zuträglich, da die Herren im Büro weiter und wieder ihre Netze schmieden. Und überhaupt: Was ist mit all den Service- und Produktionsmitarbeitern? Schon wird Personal in den Kantinen abgebaut. Auch die Bürofläche wird schmelzen. Es wird ernst!
Wieso haben alle so viel Angst vor Spaltung? Weil sie Einheit suchen, nicht Vielfalt
Ist wirklich Spaltung, was oft als Spaltung bezeichnet wird? Oder ist es nicht eine dringend notwendige, unvermeidliche Differenzierung? Wenn das Gegenteil von Spaltung Einheit und Verbindung ist, hat diese Spaltung nicht auch ihren Charme? Wir brauchen doch Vielfalt!
Noch nie in der Geschichte der Menschheit befand sich so viel Macht in der Hand so vieler Personen, die kein Risiko eingehen und nicht im geringsten persönlich exponiert sind. Nassem Nicolas Taleb in “Antifragilität”. Ich füge hinzu: Und diese Menschen entscheiden über die Vermeidung von “Spaltung”
Ist Spaltung nicht irgendwo auch Robustheit, vielleicht sogar Antifragilität? Und ist Einheit nicht ein komplett fragiles Unterfangen?
Einheit funktioniert wenn überhaupt nur mit Zwang und Gewalt, das zeigt uns nicht nur die Ein-China-Politik und die Ukraine. Sie unterdrückt Transformation. Denn Transformation ist immer Differenzierung - die neue Form muss größer sein als die alte.
Die fragile, also zerbrechliche, unterkomplexe Idee der Vereinheitlichung zeigt sich überall. Aber: Es muss doch in Zukunft nicht jeder zum Wissensarbeiter werden. Wer verbreitet sowas? Warum glaubt man denen?
Die Idee der Akademisierung breiter Bevölkerungsschichten halte ich für ausufernd dumm und gefährlich. Sie bringt uns nur Arbeitermangel und führt dazu, dass praktisch veranlagte oder geneigte Menschen studieren, was man nicht studieren müsste. Im Übrigen müssen Studien- und Berufsentscheidungen sowieso keine Lebensentscheidung sein - werden aber immer noch so “verkauft”. Noch eine Vereinheitlichung.
Nehmen wir Lehrer.
Für Lehrer ist es fast unmöglich, ihrem Beruf je wieder zu entkommen. Für Programmierer nicht.
Nein, Spaltung ist nicht das Problem. Es ist nur eine Spaltung, die mit Ungerechtigkeit zusammenkommt. Und da liegt der eigentliche Punkt. In dem Moment, wo etwas zur Norm wird, von dem sich Vorteile ableiten, die andere nicht haben – in diesem Moment wird es explosiv. Das ist aber nicht Spaltung.
Viele Handwerker verdienen eher mehr als Akademiker. Aber im Gesundheits-, Frühbildungs-, Sozial- und Pflegebereich ist das Gefälle groß. Also ausgerechnet überall da, wo Menschen dem Computer überlegen sind. Da, wo schon jetzt Fähigkeiten gebraucht sind, die nur wir Menschen haben. Das Problem ist nicht, dass diese nicht im Homeoffice arbeiten könnten (und sicher wird KI auch einen Teil ihrer Arbeit verlagern…)
Wer kommt überhaupt auf die Idee, dass es so viel cooler ist, mit dem Laptop in einem Cafe zu arbeiten?
Wer (re-)produziert und manifestiert den Gedanken, dass es glücklicher macht, zuhause vorm Laptop zu arbeiten? Mein Sohn, der alle Möglichkeiten zur Remotework hätte, zieht derzeit die Arbeit in einem Cafe vor, weil da mehr Leben drin ist. Schon wieder ein Vereinheitlichungsversuch: Man denkt jetzt, man könne junge Menschen mit Homeoffice locken…
Kein Wunder, dass ausschließlich die Interpreten der Laptopklasse das Narrativ der Zukunft von Arbeit bestimmt. Warum? Vielleicht, weil sie mehr Zeit haben…
Besinnt man sich zurück auf den New-Work-Gedanken von Bergmann, so ist in dieser Philosophie Spaltung und Gerechtigkeit verankert. Jeder soll mindestens einen Teil tun, den er/sie wirklich wirklich will.
Dafür braucht es vor alle eins: Wahlfreiheit in einer vielfältigen Welt. Wählen können aber nur Menschen,
die sich über sich selbst und was sie wollen bewusst sind und
deren Existenz grundlegend gesichert ist.
Die eigentliche Spaltung liegt nicht zwischen Wissensarbeitern und den anderen oder Homeoffice und Produktion.
Sie liegt im unmöglichen Gleichheitsgedanken begründet, produziert durch ein Bildungssystem, das vorgibt, Chancen für alle zu schaffen – und das absolute Gegenteil erreicht. Gerechtigkeit bedeutet, Gleiches gleich und Ungleiches ungleich zu behandelt. Das ist die wahre Waage der Justitia. Aber Ungleichheit lassen wir nicht zu.
Was meinen Sie? Freue ich über Meinungen.
Weiter lesen & sehen
Über die verschiedenen New-Work-Ansätze habe ich im Teamworks-Blog geschrieben
In meinem aktuellen Video zeige ich wie man „Massenpsychologie“ für die Transformation nutzen kann.
Freue mich, wenn ihr meinen Kanal abonniert! Er soll wachsen ;-)
Inspiriert hat mich diese Woche
Der aktuelle Podcast mit Martin Permantier über die bewusstseinserweiternde und persönlichkeitsweitende Kraft psychedelischer Substanzen
„Sandman“ bei Netflix, es geht da ja um was Ähnliches – um „Dream“ ;-)
Das Buch “Dummheit” von Heidi Kastner (noch nicht durch…).
Der aktuelle (August) Harvard Business Manager: Der formuliert nun endlich diese These, das Führungskräfte wie Wissenschaftler denken und handeln sollten. Interessant - aber ist das nicht auch wieder so eine Vereinheitlichung?
Unser Angebot bei Teamworks:
In unserer Nextlevel-Masterclass behandeln wir Themen der persönlichen und organisationalen Transformation in einer schönen Bauernhof-Atmosphäre mir Yoga, gutem Essen, abendlichen Kamin-Gesprächen und (wer will) Wein. Wir haben noch 2 Plätze. Frag mich gern per Mail, ob es für dich passt.
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Foto von Olivier de Moal – istock.com