Warum jeder Trend zurückkommt... aber Ideen kommen, um zu bleiben
No. 037: Der kleine Unterschied, der uns die Agilität erhält
No. 037: Der kleine Unterschied, der uns die Agilität erhält
Ist euch schon mal aufgefallen, dass alles immer wieder kommt, nur in anderer Verkleidung? Sieht man in der Mode. Diese sackartigen Kleider… war mal - und ist gerade. So sind sie, die Trends. Kommen und gehen.
Aber es gibt auch Dinge, die bleiben. Das sind die den Trends zugrunde liegenden Ideen. Sie sind viel unscheinbarer als die Trends, graue Mäuse. Aber anders als Trends sind sie niemals out. Und das ist relevant für alle, die mit Veränderung zu tun haben. Wir sollten da unterscheiden.
Dass das wichtig ist, wurde mir vor etwa sieben Jahren erstmals bewusst. Damals hatten mich engagierte Organisationsentwickler eingeladen. Sie wollten erfahren, was “Agilität” für ihre praktische Arbeit bedeutet. Ihr Aha-Effekt nach meinem Input: Die darin steckende Kernidee ist so alt wie die Organisationsentwicklung, mindestens 70 Jahre. Iterativ arbeiten ist ja irgendwie normal, wenn man systemisch vorgeht. Und der Rest sind Trendbegriffe…
Mit den Trends ist es so: Sie leben von der Wachablösung. Das eine kommt nach dem anderen, geradezu zwangsläufig. Manche sagen dann “Alter Wein in neuen Schläuchen”. Ich sage: Nein, das ist mehr. Es ist das Gesicht, dass die Idee verkauft, die sonst nur abstrakt wäre. Und es ist der Trend der die Idee zum zum Mainstream macht.
Trends leben davon kurzlebig zu sein. Die Idee dagegen lebt vom Gefühl. Svenja Hofert
Trends brauchen außerdem ständig Nachschub. Schauen wir uns mal im Personalbereich um: Nach dem Quiet Quitting kommt dort das Job Boomeranging. Das bedeutet angeblich, dass Mitarbeitende wieder zum alten Arbeitgeber zurückkehren, nachdem sie ihn verlassen haben. Sie haben zwischenzeitlich beim neuen Arbeitgeber festgestellt, dass die Früchte dort auch nicht tiefer hängen. Die Idee vom Neuanfang hat sich dann nicht bewährt.
Anderes Beispiel: Niemand spricht mehr von Remote Work, Hybrid hat das abgelöst. Dahinter steckt aber wieder - dasselbe in grün mit leichter Akzentverschiebung, die Idee nämlich, nicht nur im Büro zu arbeiten.
Trends kommen und gehen mit den Leuten, die über sie schreiben und den Lesern, die sagen „ja so ist es“. Klickt es sich gut, wird noch ein Artikel geschrieben. Ob dahinter wirklich immer eine tiefere Idee liegt? Das ist die Frage, mit der sich Veränderungskünstlerinnen beschäftigen sollten. Denn für sie ist das relevant.
Sie können sich nämlich fragen: Wie ist es also mit Agilität? Oder New Work? Trend oder Idee?
Wenn ich der Idee von Agilität nachspüre, dann lande ich bei Leistung und Performance - die Perspektive der Wirtschaft. Fühle ich den New Work-Vibe, dann bin ich bei der Humanität in der Arbeitswelt auf der anderen Seite angekommen, der Perspektive des Arbeitsmarkts. Die beiden sind ein lustiges Podpouri aus Widersprüchen. Die Idee dahinter: Es braucht anderes Arbeiten - nicht oder sondern UND anderes Wirtschaften.
Viele werfen Trends und Ideen zusammen. Doch es ist nicht dasselbe. Ein Trend ist eine starke Tendenz oder Richtung, die sich über kurz oder lang durchsetzt. Eine Idee dagegen ist eine abstrakte Vorstellung. Sie muss sich nicht durchsetzen.
Ideen verschwinden nicht wie Trends oder kehren sich gar ins Gegenteil. Sie bewegen sich vielmehr wellenartig und füllen sich auf. Sie folgen - anders eben als Trends - nicht nur einer Klick-Logik. Sie haben selbstverstärkende Tendenzen, die sie zeitlich robust machen.
Was mit Agilität oder New Work verbunden ist, ist Idee. Trend ist, was als unhaltbares Lösungsversprechen verkauft wird. Svenja Hofert
Lindy-Effekt: Die umgekehrte Lebenserwartung
Und hier sind wir dann beim Lyndi-Effekt, auch Lyndi´s Law genannt. Es beschreibt die umgekehrte Lebenserwartung, die sich aus der bisherigen Lebensspanne ergibt. Das heißt, desto länger sich etwas halten kann, desto länger wird es uns noch erhalten bleiben. Veränderungsbegleitende sollten also dafür Sorge tragen, dass sich Ideen verstärken und nicht etwa Trends. Das ist nachhaltiger.
Menschen wollen nicht mehr nur Geld verdienen, sondern auch gut behandelt werden. Das ist der Kern der Idee - ziemlich banal. Aber was sie alles so mit sich zieht, was damit nichts mehr zu tun hat (Trend)!
Die Idee ist die Vorstellung davon, wie wir in der Wirtschaft und Arbeitswelt mit der veränderten Umwelt umgehen. Ideen sind haltbar. So haltbar wie ewige Talkshowgäste, immer die gleichen VIPs, Expertinnen und - Nappo. Ja, das eklige Zuckerzeug, das keinem schmeckt und das sich trotzdem seit den 1970ern hält. Es ist kein Trend und geht nicht weg.
Du glaubst an das, was sich bewährt hat. Und es bewährt sich, was sich schon mal bewährt hat. Svenja Hofert
Was sagt uns Lyndi?
Und jetzt detaillierter zum Lyndi-Effekt.
Anders als bei Menschen steigt bei Unternehmen, Produkten, Technologien und auch Ideen die Lebenserwartung mit der bisherigen Lebensdauer. Deshalb ist mein Jahrzehnte altes „Praxisbuch der Existenzgründung“ von 2001 nicht totzukriegen. Es stammt aus einer Zeit von Ich-AGs, damals war auch Wirtschaftskrise. Das ist vergessen, das Buch nicht.
Jeder kennt mich, zumindest auf den zweiten Blick. Ich bin die, die im Buchregal steht. Und ich stehe da, weil ich schon bei anderen da stehe.
Langlebigkeit erklärt sich aus der Langlebigkeit. Svenja Hofert
Ideen wiederholen sich
Napoleon Hills Buch „Denke nach und werde reich“ ist seit mehr als 80 Jahren allein deshalb ein Bestseller, weil das Buch es irgendwie an die Spitze geschafft hat und die Idee des Reichwerdens keinen Trend braucht.
Manches ist mitnichten der Erfolg des Autors, sondern der Erfolg der Idee, die zufällig auf einen Trend stieß. Hier lohnt es sich genauer hinzuschauen, die Grenzen sind fließend - und oft zeigt sich erst rückblickend, was es war. Beispielsweise kann der Erfolg einer Idee den Erfolg eines Autors oder Musikers begründen, der dann selbst zum Produkt wird. Aber auch andersrum. Ist man mal erfolgreich kann man eine Menge machen, es sei denn es verletzt die grundlegende Idee. Siehe Barbara Schöneberger.
Ideen altern rückwärts
Der Lyndi-Effekt sagt auch: Wenn etwas, das in der Gegenwart existiert und genutzt wird, schon lange existiert, wird es so lange weiterleben, wie es schon besteht. Ideen altern also rückwärts.
Demnach bleiben uns Agilität wie auch New Work noch lange treu, auch wenn es neue Begriffe geben wird oder der Trend der Idee frisches Blut einhaucht. Agilität und New Work haben auch etwas Fraktales: Von jeder Seite sieht man was anderes, es setzt sich immer neu zusammen. Aber das Muster, das prägt sich ein. Auch wenn es für jeden anders aussieht.
Als Podcast:
In meinem Buch “100 mentale Modelle” könnt ihr unter anderem mehr über den Lyndi-Effekt lesen oder hören.
Inspiriert hat mich diese Woche
Eine Frage von Christina Grubendorfer in ihrem sehr empfehlenswerten Podcast “Organisationen entwickeln”. Sie fragte ihre Interviewpartner, ob Holakratie nicht etwas Sektenähnliches innewohne. Weil es nur der verstehen kann, der es wirklich wirklich versteht. Es ging um New Work, so ziemlich genau in dem hier beschriebenen Sinn von alles und nichts. Hier hören.
Mein erstes Gespräch mit der Spiegel-Journalistin Anne Otto, die mich zu einem neuen Online-Format berät. ihr dürft neugierig sein :-)
Offene Termine
Da Psychologie der Veränderung im Februar mal wieder ausgebucht ist, habe ich einen Ersatztermin für April eingestellt
Fortgeschrittene: Meldet euch jetzt schon für meine Summer School Organisationsentwicklung und die Masterclass Nextlevelcoaching im Herbst an,
Alle Teamworks-Termine.
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Nächste TeamworksPLUS-Gruppe startet am 30.3.23. Seid ihr dabei?
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Foto von istock - Ferrantraite
Vielen Dank für Deinen sehr tollen Text. Ich werde ihn später noch einmal lesen. Was mir spontan in den Sinn kommt: Ideen entwickeln sich weiter. Und: Wenn Ideen zu umsetzbaren Lösungen entwickelt werden, kann nachhaltige Transformation gelingen. Liebe Grüße, Jutta