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Der agile Boomerang

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No. 037: Das Lyndi-Gesetz und die New-Work-Badewanne

Svenja Hofert
Jan 30
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No. 037: Das Lyndi-Gesetz und die New-Work-Badewanne

Es gibt schon wieder einen neuen Trend, muss ja. Nach dem Quiet Quitting kommt jetzt das Job Boomeranging. Das bedeutet, dass Mitarbeitende wieder zum alten Arbeitgeber zurückkehren, nachdem sie ihn verlassen haben. Sie haben derweil beim neuen Arbeitgeber festgestellt, dass die Früchte dort auch nicht tiefer hängen. Oder als Neu-Selbstständige gemerkt, dass es gar nicht so einfach ist, sich am Markt zu bewähren.

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Trends wie Quiet Quitting und Job Boomeranging kommen und gehen mit den Leuten, die über sie schreiben und den Lesern, die sagen „ja so ist es“. Klickt es gut, wird noch ein Artikel geschrieben. Und einer schreibt vom anderen ab.

Was dagegen mit Agilität oder New Work verbunden ist, ist kein Trend, sondern eine Idee. Svenja Hofert

Was dagegen mit Agilität oder New Work verbunden ist, ist kein Trend. Es ist eine Idee. Ideen sind zeitlos, bewegen sich wellenartig und folgen nicht nur der Klick-Logik. Sie haben selbstverstärkende Tendenzen, die sie zeitlich robust machen.

Diese zeitliche Robustheit erklärt der Lyndi-Effekt. Es beschreibt die umgekehrte Lebenserwartung, die sich aus der bisherigen Lebensspanne ergibt. Das ist auch für Selbstständige wichtig, für so ziemlich alles. Lass mich das erläutern.

„Agilität ist im Mainstream angekommen.“ (IT-Portal, im Jahr 2008)

Damals meinte man in den Medien damit noch keine agilen Unternehmen, anders als in der Wissenschaft - wo seit 1989 niemand über Scrum sprach, wenn er Agilität meinte.

Man hatte auch noch nicht dieses Spektrum im Kopf, das sich inzwischen ausgebildet hat. Es reicht ja mittlerweile von sektenähnlichen Weltverbesserungsbewegungen über kleinteilige Unternehmensbetriebssysteme à la Holakratie bis hin zur Steuerungslogik der Kybernetik.

Megatrend oder Idee? Idee!

New Work ist etwa zeitgleich mit Agilität gestartet. Im Mainstream war es erstmals 2004 – und auch jetzt springt die Google-Trend-Suche so richtig darauf an. Deshalb reden manche schon vom Mega-Trend.

Bei der Interpretation bitte beachten: 100 beschreibt bei Google Trends den Wert der höchsten Suchanfragen, es handelt sich nicht um absolute Werte. Die untenstehende Grafik ist also so zu interpretieren: Nach einem Peak 2004 hielt sich der Begriff auf einem Viertel des Peaks und bewegte sich langsam nach oben, um jetzt dauerhafter dort angekommen zu sein. Das ist das, was die Presse „Mainstream“ nennt.

Wer es genauer wissen will: Der Keyword Planner sagt, dass es um 10.000-100.000 Suchanfragen pro Monat zu New Work gibt, deutschlandweit.

Worum handelt es sich wirklich, im Kern? Ich frage ChatGPT. Der antwortet mir das Folgende:

Ein Bild, das Text enthält.

Automatisch generierte Beschreibung

Ich frage daraufhin, was eine offene Unternehmenskultur sei. Im bekannten Strickmuster erfolgt die Antwort:

Ein Bild, das Text enthält.

Automatisch generierte Beschreibung

In der Antwort stecken genau jene Buzzwords drin, die wir immer wieder durch die Welt schleudern. Und es stecken Ideen da drin. Darauf will ich hinaus. Ideen, die eben kein Trend, sondern zeitloser sind.

Wir sehen in der Antwort, worum es geht: Um die, die systemisch betrachtet die Umwelt der Organisation bilden: Die Mitarbeiter. Sie haben ihre eigene Logik, die sich grundsätzlich von ihrem menschenleeren „Zentrum“ unterscheidet.

Menschen wollen inzwischen nicht mehr nur Geld verdienen, sondern auch gut behandelt werden.

Menschen wollen inzwischen nicht mehr nur Geld verdienen, sondern auch gut behandelt werden. New Work ist also nicht mehr als ein Eingehen der Organisation auf Umweltveränderungen. Konnte die Organisation bisher ohne Rücksicht auf die Umwelt Gesetze machen, bestimmt diese jetzt die Gangart.

Das ist nicht mehr wie bei den Affen, die im Taylorismus eine Form der Käfighaltung genossen. „Wenn die Affen den Zoo regieren“ wetterte Stefan Kühl schon 1995 gegen Hierarchieleugner, die dieses schon damals beklagten. Es setzte sich nicht durch. Die Idee ist genau die andere, die der Befreiung.

Die Idee der Befreiung aus dem Unternehmenszoo

Viele werfen Trends und Ideen zusammen. Doch es ist nicht dasselbe. Ein Trend ist eine starke Tendenz oder Richtung, die sich über kurz oder lang durchsetzt. Eine Idee dagegen ist eine abstrakte Vorstellung. Sie muss sich nicht durchsetzen.

Es reicht, dass sie über lange Zeit in den Köpfen feststeckt. Hier bekommt sie die Form, die Beraterinnen ihnen geben. Berater, die auf Märkte reagieren, also in ihrer eigenen Logik. Und wenn sie es tausend Mal als „ihren Purpose“ kennzeichnen: Interessiert sich keiner dafür, müssen auch sie ein Job Boomeranging machen.

Ideen sind haltbar, Trends werden Mainstream.

Es geht also gar nicht darum, dass sich etwas durchsetzt. Es geht um die unzähligen Lösungsansätze, es geht um die Idee. Und die ist die Vorstellung davon, wie wir in der Wirtschaft und Arbeitswelt mit der veränderten Umwelt umgehen.  Ideen sind haltbar, Trends werden Mainstream. Und wie haltbar so eine Idee ist, das lässt sich berechnen.

Du glaubst an das, was sich als Idee bewährt hat. Und es bewährt sich als Idee, was sich schon mal als Idee bewährt hat. Svenja Hofert

Was sagt uns Lyndi?

Und jetzt detaillierter zum Lyndi-Effekt.

Anders als bei Menschen steigt bei Unternehmen, Produkten, Technologien und eben auch Ideen die Lebenserwartung mit der bisherigen Lebensdauer. Deshalb ist mein 21 Jahre altes „Praxisbuch der Existenzgründung“ nicht totzukriegen. Jeder kennt mich, zumindest auf den zweiten Blick. Ich bin die, die im Buchregal steht. Langlebigkeit erklärt sich aus der Langlebigkeit.

Ideen wiederholen sich

Deshalb bewährt sich Napoleon Hills Buch „Denke nach und werde reich“, seit mehr als 80 Jahren. Und aus diesem Grund wiederholen sich Ideen, wobei unterschiedliche Protagonisten, sich mit ihnen verbinden. Denn manches ist nicht der Erfolg des Autors, es ist der Erfolg der Idee. Hier lohnt es sich genauer hinzuschauen, die Grenzen sind fließend und oft zeigt sich erst rückblickend, was es war. Beispielsweise kann der Erfolg einer Idee den Erfolg eines Autors oder Musikers begründen, der dann selbst zum Produkt wird.

Warum kann ein Karriereberater wie Martin Wehrle auf seinem Riesen-Youtube-Kanal plötzlich über Corona und Politik reden? Weil er von der Idee zum Produkt geworden ist, das ihrerseits Ideen verbreitet…

Ideen altern rückwärts

Der Lyndi-Effekt sagt auch: Wenn etwas, das in der Gegenwart existiert und genutzt wird, schon lange existiert, wird es so lange weiterleben, wie es schon besteht. Ideen altern also rückwärts.

Demnach bleiben uns Agilität wie auch New Work noch lange treu, auch wenn es neue Begriffe geben wird oder die Idee frisches Blut bekommt. Denn längst haben sich Ideen verselbstständigt, hat sich Agilität etwa von Scrum entfernt.

Ursprung von Lyndi´s Law

Der Lyndi-Effekt oder auch Lindy´s Law geht zurück auf den Kulturkritiker Albert Goldman und stammt in seiner Urform aus den 1960er Jahren. Lindy war der Name einer New Yorker Künstlerkneipe. Goldman machte sich einen Spaß daraus, zu schätzen wie die Wahrscheinlichkeit von Comedy-Auftritten im gleichnamigen Restaurant Lindy’s entsprechend der Häufigkeit vorangegangener Gigs sein würde. Je mehr Auftritte, desto wahrscheinlicher ein Fortlaufen der Komikerkarriere in der Zukunft.

Später griff der Mathematiker Benoit Mandelbrot die Idee auf, für seine Arbeiten zur fraktalen Geometrie bekannt geworden. Agilität und New Work haben auch etwas Fraktales: Von jeder Seite sieht man was anderes, es setzt sich immer neu zusammen.

New Work und Agilität transportieren die Idee struktureller Bewegung in der Wirtschaft. Sie dienen der Verflüssigung bisheriger Formen. Das ist der Ideen-Kern.

Was sich konkret damit verbindet, ist deshalb am Ende nicht wichtig. Deshalb ist es Horror für Wissenschaftler, unmöglich zu falsifizieren.

Die Fähigkeit des Andockens

Entscheidend bei einer Idee ist die Fähigkeit des Andockens, denn sie erzeugt die Voraussetzung für Wirkung: Es passiert irgend etwas, allein weil eine Verbindung möglich wurde. Ich nenne das in einem Vortrag „Connecting dots“. Etwas wird zerlegt in Bestanteile und verbindet sich neu. Völlig egal, was es ist. Aber: Die Verbindung muss sich ebenso auflösen können, wie neu und anders entstehen.

Die daraus erfolgende Wirkung, davon bin ich fest überzeugt, ist nicht auf eine bestimme Vorgehensweise oder gar Tools zurückzuführen. Entscheidend ist nur das, was in der „Umwelt“ andocken kann, worauf also Menschen reagieren.

Es wirkt, was wirkt.

Wirkung entsteht aus sich heraus. Es wirkt, was wirkt. Manchmal einfach nur deshalb, weil genug Leute daran glauben. Und weil der Aufwand der Veränderung so groß war, dass das Wirkmittel zum Heiligen Gral wird – und nicht die Wirkenden. Das ist der Effekt bei Holakratie (dazu im Kasten ein Linktipp für einen Podcast mit Christina Grubendorfer).

Gehen wir davon aus, dass auch Ideen Bestand haben, dann sind Agilität und New Work austauchbar. Sie sind Etiketten auf einem Glas mit wechselndem Inhalt. Beide Etiketten haben jetzt, je nach Rechnung, eine Haltbarkeit von mehr als 40 Jahren.

Der Badewanneneffekt

Stellt euch eine Badewanne vor. Oben läuft eine neue Idee rein. Sie verstärkt sich immer weiter, auch wenn immer mehr Leute neues Badesalz einstreuen. Bis die Badewanne voll ist, dauert es. Und bis das Wasser dann wieder abläuft auch. Denn den Propfen ziehen wir nur, wenn es etwas anderes gibt, dass das Wasser in der Badewanne überflüssig macht. Dann läuft das Wasser langsam ab.

Wann genau der Punkt dieser höchsten Badewannen-Fülle und Lebenserwartung wissen wir nicht. Vermutlich dann, wenn eine andere Idee die andere obsolet macht. Ein neues Buzzword reicht da nicht. Es kann also noch lange dauern.

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Weiter: Lesen, Sehen & Hören

  • Noch nicht gelesen? Mein ChatGPT-Fazit. Macht euch ein Bild.

Inspiriert hat mich diese Woche

  • Eine Frage von Christina Grubendorfer in ihrem sehr empfehlenswerten Podcast “Organisationen entwickeln”. Sie fragte ihre Interviewpartner, ob Holakratie nicht etwas Sektenähnliches innewohne. Weil es nur der verstehen kann, der es wirklich wirklich versteht. Es ging um New Work, so ziemlich genau in dem hier beschriebenen Sinn von alles und nichts. Hier hören.

  • Mein erstes Gespräch mit der Spiegel-Journalistin Anne Otto, die mich zu einem neuen Online-Format berät. ihr dürft neugierig sein :-)

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1 Comment
Jutta Kallies-Schweiger
Writes Inner Beauty
Feb 2Liked by Svenja Hofert

Vielen Dank für Deinen sehr tollen Text. Ich werde ihn später noch einmal lesen. Was mir spontan in den Sinn kommt: Ideen entwickeln sich weiter. Und: Wenn Ideen zu umsetzbaren Lösungen entwickelt werden, kann nachhaltige Transformation gelingen. Liebe Grüße, Jutta

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