Der Podcast von Fritz Espenlaub über Peter Thiel hat mich gepackt. Vor allem die Sache mit dem Antichristen und Katechon geht mir nicht mehr aus dem Kopf. Was steht auf dem Parkplatz der 666 - und was kann das Böse jetzt noch aufhalten?
Viele halten Trump für eine Gefahr. Doch im Ende ist er auf Dauer vermutlich zerstörerisch, aber eine Übergangserscheinung. Denn seine Welt kreisr nur um ihn, und er ist alt. Viel gefährlicher sind die Strippenzieher. Deren Welt kreist gleich ums Universum. Trump dagegen ist wie die Raufahrtkapsel zum Mond, nur ein zunächst unmöglich scheinender Zwischenschritt auf der ganz großen Reise.
Der mächtigste Strippenzieher der Welt und warum er kein Charisma braucht
Thiel glaubt an seine Erweckung durch Mittel des Fortschritts
Der mächtigste Strippenzieher ist Peter Thiel. Nicht ganz der reichste Mann der Welt, aber fast. Selbstregulierter als der impulsive Musk. Auf eine diffuse Weise spirituell, da er an Unendlichkeit und Erweckung glaubt, weshalb er sich einfrieren lassen will. Die Erweckung jedoch durch Mittel des Fortschritts. Er baut an der Zukunft. Und wenn er schon gestorben ist, dann lässt er sich eben wieder auftauen.
Thiels Machtressourcen sind Geld, Gehirn, Geduld, Gefährten. Oder anders: Netzwerke. Da braucht es die Ressource Charisma nicht. Das ist die wahre Kunst der Mächtigen: Netzwerke installieren. Wissen, wer die Welt Morgen und Übermorgen regieren wird - und nicht wer es jetzt tut. Dazu gehört das strategische Vermögen, diejenigen zu erkennen, die den Weg bereiten können. In Thiels Fall ist das J. D. Vance.
J.D. Vance soll das Zünglein sein, dass die Waage auf der Seite hält, in die Trump sie jetzt schon gebracht hat.
Die Bedeutung von Vance arbeitete Fritz Espenlaub in seinem Podcast gut heraus. Es gibt einige Dokumentationen über Thiel, aber die von Espenlaub hat es in sich. Weil Espenlaub an jeder Stelle weiterdenkt. Weil er es so anders aufbereitet als das platte Thiel-Bashing, das ich neulich in einer ZDF-Dokumentation geradezu langweilig fand. Er schafft es subtiler, philosophischer und irgendwo auch düsterer. Man muss ich seine Meinung danach selbst bilden, er übernimmt es nicht. Das macht uns die Welt nicht so einfach wie das Schwarzweiß-Karo der ÖR-Doku “Wer ist Peter Thiel”.
Strategische Dekonstruktion und Installation - Wie Thiel die Elite co-kreiiert
Bei Espenlaub geht es nicht um feisten Reichtum, sondern um die strategische Installation einer neuen Macht, die kein Fortschritt mehr bremst. Dabei muss man verstehen, dass jeder wirklich Mächtige glaubt im Sinn des Guten zu handeln. Und je mehr Guter er (und fast immer ist es er) im Sinn hat, desto entschiedener das Handeln. Das macht Trump gleichzeitig erratisch und durchschaubar. Und Thiel undurchschaubar, weil sein Gedankengebäude wie ein Schachspiel funktioniert. Und er ist ein guter Spieler…
Wir müssen auch verstehen, dass die Guten immer auch wissen, was böse ist. Die Abgrenzung ist das Wesen von Klarheit. Und da geht es immer auch um Katechon (griech. „der Aufhaltende“): Den Aufhaltenden. Jene Kraft, die sich dem Antichristen entgegenstellt.
Was genau für Thiel der Antichrist ist?
der Staat, der den Fortschritt aufhält,
seine allmächtige Bürokratie,
der konformistische Gleichheitswahn kumuliert im Woke,
die liberale Demokratie selbst
Vermutlich ist es nicht so einfach, denn wir neigen dazu, den für uns Guten wie Bösen Simplifizismus zuzuschreiben, auch da wo es keinen gibt. Thiel, so habe ich gelernt, liebt Inspiration.
Sein Gedankengebäude ist nicht fix. Er lässt sich inspirieren, von denen, die er für klug hält. Er ist auf eine bestimmte weise offen. Das passt nicht zu unserem Bild von einer geschlossenen, unreflektierten Persönlichkeit.
Im Denken von Peter Thiel wird der Begriff des Katechon und das Konzept des Antichristen in einem politischen Sinne verwendet. Er ist dabei inspiriert von Carl Schmitt, einem ultrakonservativen Staatsrechtler und Theoretiker der politischen Theologie. Aber er lässt sich auch von anderen Denkern inspirieren.
Ein Contrarian, und in gewisser Weise Konformist
Radikal können nur wenige denken. Es sind die, die alles in Frage stellen. Die Unangepassten. Die die auf die Frage “woran glaubst du, woran kein anderer glaubt” immer antworten können. “Contrarians” nennt man das. Thiel war immer ein Contrarion. Seine Lieblingsfrage “woran glaubst du, woran niemand anderes glaubt” war schon mal Teil dieses Newsletters.
Das ist etwas anderes als ein Nonkonformist, der einfach nur soziale Normen in Frage stellt. Nonkonformisten lehnen es ab, soziale Erwartungen zu erfüllen. Contrarians gehen weiter: Sie denken gegen den Mainstream an. Deshalb erfüllen sie zugleich aber auch die sozialen Erwartungen anderer Contrarians. Das ist dann auch wieder ein Konformismus, Bubble-Konformismus.
Wie Politik als Vehikel für die Wirtschaft dient
Thiel war der erste der Big-Tech-Elite, der sich für Trump ausgesprochen hat. In der ersten Amtszeit spielte er eine Rolle, zog sich dann aber zurück, vermutlich angeekelt von der Dumpfheit.
Das Bild ist aus dem Jahr 2017. Da saß Peter Thiel nach dem Gewinn der Wahlen in der ersten Amtszeit neben Donald Trump. An einer Stelle tätschelt dieser seine Hand. Da ist noch mehr Ekel in seinem Gesicht als hier zu sehen. Nein, Thiel hat keine Zeit sich mit gefährlichen Trotteln auseinanderzusetzen. Deshalb hat er sich nach diesem kurzen Trip in die vorderste Politikreihe wieder nach hinten zurückgezogen.
Thiel hat mit seinem Geld den Newcomer J.D. Vance in der Politik als Gouverneur installiert. Merke: Dieser war ursprünglich absoluten Trump-Gegner. In Vance brennt auch etwas, das mehr ist als Selbstliebe: Auch er will die Welt ändern. Auch er ist diffus spirituell. Und auch er denkt - strategisch. Im Hier, Morgen und Übermorgen geht es nicht nur ums Ich.
Wahre Unberechenbarkeit ist genau da, wo Narzissmus zuer Erklärung nicht mehr ausreicht.
Die strategische Unfähigkeit eines Trumps ist offensichtlich. Er dient nur sich selbst, seinem Spiegelbild. Er blickt nicht auf die großen Zusammenhänge oder gar aufs Universum. Damit kann man nicht strategisch arbeiten. Das weiß Thiel. Macht ist dynamisch, sie verbindet und verbündet sich mit denen, die sie mit ihren Ressourcen - Geld allein reicht nicht - aufpumpen können. Es braucht auch den Glauben an etwas, das das Böse noch stoppen kann - Katechon.
Wir denken: Rückschritt, Rückfall, Regression? Und wenn es etwas anderes wäre?
Wenn es so einfach wäre. Wir unterliegen einem großen Trugschluss, denn das ist die gegenwärtige Bewegung in dieser schwindelerregenden Geschwindigkeit nicht. Es ist der Schritt in den absoluten Fortschritt durch absoluten Rückschritt, Abbau liberaler Strukturen, Verbreitung von Angst.
Uns erscheint Thiel selbst wie ein Antichrist. Er und seine Tech-Elite bedrohen:
unsere liberale Demokratie
Das Recht auf Tradition und Bewahren
Die Welt von gestern in der Welt von heute
Die langsame Ablösung der alten Ordnung
Die Errungenschaften der Aufklärung
vielleicht sogar das Recht auf Leben… oder Sterben dürfen
…
Doch wer ist der Aufhaltende, wer ist Katechon bei uns? Ich habe Fragen, keine Antwort.
Psychologie der Veränderung: Die Flexiblen und die Rigiden finden sich links und rechts
Neben diesem Podcast hat mich diese Woche das Buch einer jungen Wissenschaftlerin aus Cambridge fasziniertl, Leor Zmigrod, 29 Jahre alt. Es hat damit zu tun, denn es heißt “Das ideologische Gehirn”.
Zmirgrod stellt darin dar, dass unser Gehirn prädestiniert ist für rigides oder flexibles Denken. Das stellt sie, und das ist für mich der eigentliche Gewinn, nicht in die alten Kategorien von links und rechts, die nicht mehr funktionieren. Nein, flexible Gehirne reflektieren, passen sich an. Rigide nicht. Ideologisches Denken bezeichnet für Zmigrod eine mentale Rigidität – das Gehirn nimmt widersprüchliche Fakten nicht mehr auf, weil es in festen Denkmustern verharrt.
Ihr Testfall sind Brexit-Anhängende. Keine Überraschung: Diese sind rigider. Sie orientieren sich weniger an Fakten. Wir wissen, dass iedrige Offenheit mit konservativen und autoritären Einstellungen korreliert - also dem Brexit-Ausstieg. Sie zeigte, dass bei starren Denkern andere Gehirnregionen aktiv sind – etwa bei Entscheidungen mit moralischer oder politischer Bedeutung.
Nach Zmirgrod stillen Ideologien grundlegende psychologische Bedürfnisse nach Sicherheit, Klarheit und Zugehörigkeit. Besonders starre Denker fühlen sich dadurch angezogen, da solche Glaubenssysteme einfache, eindeutige Antworten liefern .
Zmigrod unterscheidet nicht zwischen „guten“ und „schlechten“ Ideologien, da jede – ins Extrem getrieben – dogmatisch werden kann. Ihr Appell: Statt auf politische Mitte zu setzen, sollten wir aktiv das Denken gegen Dogmen stärken.
Ich habe mich gefragt, wie Thiel wohl abchneiden würde. Und komme zu dem Schluss, dass er ein flexibles Gehirn haben muss. Er kennt nur ein Dogma: Fortschritt. Noch ein Argument, warum man Thiel wirklich ernst nehmen muss. Er ist in der Lage zur kompletten Dekonstruktion und strategischen Architektur. Das ist keine dumpfe Rigidität, kein plumpes Faktenleugnen..
Das ist wirklich gefährlich.
Svenja Hofert, Juni 2025
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Über Macht in der Transformation sprach ich mit dem Forscher Frank Baumann-Habersack. Das Interview könnt ihr hier vorab und ab Ende Juni im regulären Podcast und auf Youtube hören.