No. 115: Anti. Die neue Gegenkraft - und 5 Bewegungen im freien Fall
Veränderungen erzeugen immer auch eine Gegenbewegung. Die kann eine zerstörerische Kraft entfalten, Punk. Was ist der Punk? Und wie gehen wir damit um?
Trump sagte einmal, er könne auf offener Straße jemanden umbringen und würde trotzdem gewählt. Der Mann zerstört die aktuelle Ordnung.
Das ist Punk. Widerstand gegen die Staatsgewalt - und schon jetzt aus der Position derselben.
Trumps Macht ist inzwischen derart aufgepumpt, dass sie irgendwann implodieren muss. Dann wird es wieder Gegenbewegungen, vielleicht eine starke Gegenkraft geben. Jedes Alpha (die richtungsbestimmende Macht) kriegt sein Omega (den Gegenwind).
Aber wie lange wird sich das Ich noch ungebremst ins Wir ausdehnen können?
Macht entsteht, indem sie sich immer weiter konzentriert und zugleich ausdehnt. Die Bremsen funktionieren dann nicht mehr.
Armes Kind wird böses Kind.
Die Kindheit des kleinen Trumps muss eiskalt gewesen sein, wie die aktuelle Trump-Dokumentation in der ARD zeigt. Keine Liebe, keine Nähe, militärischer Drill. Bestätigung nur für eins: Leistung, Erfolg, Sieg.
Je monokausaler das psychologische Strickmuster, desto erfolgreicher können arme Kinder werden. Nichts fürchten sie mehr als Reflexion. Als Invana Trump verließ soll er sich in ein Zimmer eingeschlossen haben und seine Haare wuchsen lang und zottelig. Armes Kind, ohne Spielzeug.
Je weniger jemand über sich und andere reflektiert, desto mehr kann er sich auf eins konzentrieren.
Feedback bringt vom Kurs ab und ist deshalb unerwünscht.
Überall wo kein Feedback ankommt, bündelt sich umso größere Kraft. Ja, das ist das Dilemma der Reflektierten. Ihnen fehlt Trumpness. Die Trumps dieser Welt essen sie zum Frühstück.
Trumpness ist Egozentrismus, der auf die Einverleibung des kraftlosen Wir gerichtet ist. The winner-takes-it-all-Risikoverhalten, Looser- und Lowperformer-Hass. Die mit ihr verbundene mächtigen Bugwelle bricht die anderen Wellen. Sie verändert Stil, Überzeugungen und Machtverhältnisse.
Ziehen wir uns warm an: Nur fünf Beispiele für Gegenkräfte.
5 Beispiele für aktuelle Gegenkräfte
1. Anti-Woke und Feminismus
Die Symbole des Wandels finden sich vor allem in den sozialen Medien. Trumpistische Signale überall. Nicht dass ich Woke vermissen würde, aber es ist augenscheinlich, dass es niemanden interessiert, außer ein paar Intellektuelle ohne Klicks.
Offensichtlich ist: Der kulturelle Kern ändert sich, also Normen, Werte und Überzeugungen. Und das zeigt sich vor allem da, wo man Follower gewinnt.
Auf Instagramm bin ich auf die beiden Schönheitsdocs „Nick“ und „Rick“ gestoßen. Die Schönheitsdocs aus Düsseldorf spritzen Männern eine herbe Jawline und machen sie noch männlicher. Mit angewidertem Voyeurismus bin ich hängengeblieben wie damals bei Big Brother. 50 Maßanzüge zeigt einer der muskelgestählten Milchgesichter.
Was ist anders?
Ärzte, auch die anderen Schönheitsdocs, klären normalerweise auf. Sie mühen sich um ein seriöses Image, wollen Experten ihres Fachs sein. Das hier ist ein Bruch damit.
Einer der Docs lässt sich Silkonbrüste zuwerfen und schätzt mit verbundenen Augen deren Form und Grammzahl. Rick reicht Nick Toilettenpapier. Allein der Hintern fehlt noch im Bild.
Es ist aber mehr als primitiver Punk, mehr als ein konsvervativer Backlash. Da ist dieser Hauch von Selbstironie, den nur Menschen beherrschen, die ganz genau wissen, dass sie eine Rolle spielen. Wer sich der eigenen Karrikatur bewusst ist ohne sich auch nur in dieser einen Millimeter zu hinterfragen, ist in dieser authentisch. Trumpismus als Marketingstrategie.
Sie lachen sich tot über die Frage, ob sie das alles machen wegen des Geldes. Haha, Spaß und Geld gehören zusammen.
Was braucht es da noch Work-Life-Balance?
2. Anti-Work-Life-Balance
Aus die Maus! Programmierer dieser Welt brauchen demnächst eine neue Unterlage.
Sie müssen sich nicht nur warm, sondern vielleicht grundlegend anders anziehen. Denn: KI verbindet sich mit Trumpness. Und wird zum Work-Life-Balance und Lowperformer-Schrecken. Home Office und sechsstellige Jahresgehälter stehen auf der Abschussliste.
“Wir werden 2025 wahrscheinlich „eine künstliche Intelligenz haben, die eine Art mittlerer Ingenieur sein kann, den Sie in Ihrem Unternehmen haben und der Codes schreiben kann“, sagt Mark Zuckerberg.
Es fügt sich in die Strategie des deutschen Konzerns SAP, dessen Chef Christian Klein hart gegen die Work-Life-Kultur der letzten Jahre durchgreift.
Die Linkedin-Bubble mit ihrem Flaggschiff Cawa Younosi - geschasster Personchef bei SAP - wehrt sich verzweifelt dagegen. Die Ikone der einstigen New-Work-Bewegung kämpft von der Außenlinie für einstige Errungenschaften. Doch was, wenn die New-Work-Protagonisten IN den Unternehmen verstummen? Dann verschwinden Auftraggeber.
Wird es 2025 noch New-Work-Keynotes geben? Wir sehen, womöglich, die letzten Ausläufer.
3. Anti-Diversity
Der Abbau von Diversity, von Vielfalt ist nicht nur in den USA in vollem Gang. Der Trend ist zu uns geschwappt: „Das Thema Vielfalt wurde in Teilen übertrieben“, sagt Vicky Wagner diese Woche im Interview mit dem Handelsblatt.
Wagner hatte 2020 die Initiative „Beyond Gender Agenda“ gegründet und den „German Diversity Award“ erhalten. Sie stellt alle Initiativen zum März diesen Jahres ein.
Ein Schelm, wer ökonomische Gründe dahinter vermutet…
Aber trotzdem ist richtig, was Wagner sagt: Es wurde übertrieben. Wie sehr zeigt uns oft der Punk, das was wirklich abgeht, siehe 1.
4. Anti-New-Work
Und offenbar feiern Unternehmen schon eine „Anti-Work-Life-Balance“. Die ehemalige Siemens-Personalvorständi Janina Kugel teilte diese Woche eine Stellenanzeige aus dem Deutschen Ärzteblatt. Darin suchte eine Münchener Praxisklinik Spezialisten mit einer „Verachtung für Work-Life-Balance und New Work“. Der Aufreger auf Linkedin war groß. Verachtung!
Ich habe mir die Website und Kununu angesehen und bin nicht ganz sicher, ob das wirklich so gemeint war. Aber selbst wenn nicht: Es ist die Aufregung, die Bände spicht.
Denn immerhin beklagt jetzt schon Zukunftsinstitut-Geschäftsführer Andreas Steinle in der FAZ, “warum New Work zu scheitern droht”.
5. Anti-Klima
Auch auf die Klimabewegung wirken die Veränderungen. Klima und Wirtschaft entkoppeln sich gerade.
Ein Zeichen: Der mächtige Larry Fink von Blackrock war einer der Vorreiter der Verbindung von Klimaschutz und Wirtschaft. Nun verlässt er das Klimabündnis "Net Zero Asset Managers Initiative" (NZAMI). Einen Tag später wird Blackrock mit Milliarden von Investoren überschüttet. Es hat sich für Blackrock gelohnt.
Jede Gegenkraft enttarnt aber auch falsche Versprechen: Dass sich die Investition in Klimaschutz wirtschaftlich auszahlen etwa. Die Wahrheit wurde nicht nur für Aktionäre des „Global Clean Energy“ offensichtlich: Man hat versucht einen Zusammenhang zwischen Klimaschutz und wirtschaftlichem Gewinn herbeizureden.
Das ist genauso schlecht wie diesen zu leugnen.
Womit wir beim Fazit wären.
Praxis: Was tun, wenn die Gegenkraft immer stärker wird?
Gegenkräfte treffen einem Nerv. Es sind Verschiebungen von Machtverhältnissen, einerseits. Andrerseits deuten sie aber auch auf das, was schiefläuft. Angenommen die Menschen sind weniger dumm als viele denken (daran möchte ich immer noch glauben): Dann durchschauen zumindest manche, dass sie verarscht werden. Wir sehen das in der Politik. Dieser Wahlkampf ist eine einzige Lüge, alle Parteien verschweigen, was jeder weiß: Dass es so richtig wehtun wird. Auch die Unternehmen haben das verschwiegen.
Kaum jemand war ehrlich. Einige sagen, im Wahlkampf kann man nicht ehrlich sein. Kann man dann Demokratie fordern? Selbst meine Mutter weiß nicht mehr, wen sie wählen soll. Das heißt was für eine Sozialliberale.
Mir fällt Newtons drittes Gesetz ein: Wenn ein Ball gegen eine Wand geworfen wird, übt die Wand eine gleich große Gegenkraft auf den Ball aus, sodass er zurückprallt. Das verändert die Richtung der Bewegung. Werden wir den Ball noch fangen können - und wieder neu werfen?
Wenn Machtverhältnisse sich ändern tauschen Alpha und Omega dies Position.
Sie richten ihre Kraft gegeneinander oder auf etwas Drittes. Das Dritte ist die Idee, das Ziel, die verbindene Kraft. Fehlt diese wird es dreckig. Und man kann sich weiter davor drücken, die Dilemmata zu bearbeiten, die mutiges Entscheiden unter Unsicherheit brauchen. Die niemals alle zufrieden machen und immer einige wütend.
Letzte Woche war ich mit neun Personen auf dem Buschhof in Kattendorf zu „New Organizing Strategie“. Immer wieder kamen ähnliche Themen auf: Wie adressieren wir die vielen echten Dilemmata? Anpassungslernen reicht nicht mehr, wenn der Zeitpunkt verpasst wurde.
Der Mut zum Risiko ist nicht nur ein Spruch. Es braucht ihn.
Und vielleicht ist manchmal sogar weniger Reflexion mehr, um Gegenkräfte zu entfalten. Auf jeden Fall weniger Moralismus, denn der tut nichts in der realen Welt. Und eine kluge Strategie.
Quellen zum Weiterdenken
Annabel Schröter: Einstellungskriterium “Verachtung für New Work” in Wirtschaftswoche
Andreas Steinle: Warum New Work zu scheitern droht, FAZ
Interview mit Vicky Wagner zum Thema Vielfalt im Handelsblatt
- Klimaschutz: Eine machtvolle Allianz ist am Ende, WELT
Svenja Hofert: Rangdynamik erklärt bei Teamworks
Schon gehört?
Ist mir zu oberflächlich und zu monothematisch unausgeglichen.